Wien - Schokolade. Wie man da so saß, im Mozart-Saal des Konzerthauses, und das Ohr die ersten Töne vom wunderbaren Mezzo Vesselina Kasarovas kosten durfte, war Schokolade die erste Assoziation, die einem dabei durch die Gehirnwindungen boostete: edelherb eher als Vollmilch, mit einer zart schmelzenden Nougatfüllung, sanft glänzend an den Rändern. Lecker.

Die Stimme war also ganz wunderbar, und mit ihr umzugehen wusste die 40-Jährige ebenfalls: Kasarova durchdüste die verschiedenen Lagen so virtuos und zauberleicht wie nur ganz wenige ihres Metiers, gurrte, flötete, flüsterte in sekündlichem Wechsel, versah das eine Sechzehntelnötchen mit einem Superintensivschweller, um das nächste fragil hinzuhauchen, das darauf folgende schmerzverzerrt zu zerdehnen und das letzte kühl versterben zu lassen. Ohne Zweifel: Vesselina Kasarova hat in den letzten gut eineinhalb Jahrzehnten auf den wichtigsten Opernbühnen dieser Welt und in der Zusammenarbeit mit den wichtigsten Dirigenten dieser Zeit gelernt, was man denn lernen kann, und sie weiß mit dem Schminkköfferchen der Affekte die schönsten, wildesten, berauschendsten Masken der Verzückung, des Leids, der Liebe ins musikalisch-theatralische Leben zu rufen.

Kasarova kann alles. Ihr Problem ist nur: Sie macht es auch. Mochte die ans Manische grenzende, hyperaktive Ausdeutungsstilistik bei den dargebotenen Arien Mozarts (Pupille amate aus Lucio Silla), Händels (Mi lusinga il dolce affetto aus Alcina) oder Haydns (Arianna a Naxos) noch durch den (fiktiven) szenischen Hintergrund Sinnhaftigkeit beziehen, so wirkte sie bei den vier Mozart-Liedern einfach grotesk. Charles Spencer mischte im Rahmen seiner pianistischen Assistenz Blässe und Affektiertheit zu einem staubgrauen Begleittableau; hörte man die Spielereien des Engländers, freute man sich ob der Weisheit der Sprache, "devot" mit "tot" sich reimen zu lassen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2006)