Jedesmal, wenn die serbische Opposition eine Massendemonstration organisiert, fragt man sich: Ist es nun so weit, ist das dieser entscheidende Schritt, der zu einer Wende in Ser- bien führen wird? Jedesmal, wenn sich Gegner des Regimes versammeln, um gegen die Repression zu protestieren, befürchtet man, dass es der Auftakt zu einer gewalttätigen und blutigen Abrechnung sein könnte. Die Unzufriedenheit im verarmten, international isolierten, sozial und wirtschaftlich ruinierten Serbien ist enorm. Die serbischen Oppositionsführer haben sich bisher als unfähig erwiesen, die Frustration der Bürger auszunutzen. Die Opposition fordert in der Öffentlichkeit andauernd "faire und demokratische Wahlen", gleichzeitig sagen ihre Führer jedoch vertraulich, dass dieses Regime "niemals freiwillig" die Macht abgeben werde. Sicher ist, dass es serbischen Oppositionsführern nicht im Traum einfällt, das Volk in einen offenen Aufstand zu führen. Sie haben Angst um ihr eigenes Leben, und sie könnten, wie einige von ihnen sagen, nicht die "moralische Verantwortung" für den Tod von Menschen auf sich nehmen. Die Eigendynamik der serbischen Wirrnis ist jedoch nicht aufzuhalten. Der abgrundtiefe Zwiespalt zwischen dem Regime und seinen Gegnern wird immer größer. Ob Slobodan Milosevic es begreift oder nicht - das Machtsystem des jugoslawischen Präsidenten zeigt immer mehr Schwächen. Je länger der untragbare Zustand in Serbien andauert, desto intensiver stellt sich die Frage nach der Loyalität der Polizei und der Armee zu Milosevic - immer klarer zeigt sich, dass das Regime keine Unterstützung im Volk hat. Die Spannung wächst. Die serbischen Machthaber werden nervös. Es scheint, dass die Abrechnung mit den "Verrätern" und "Nato-Söldnern", wie alle Andersdenkenden bezeichnet werden, nur noch eine Frage der Zeit ist. Und dann müsste die Opposition unter Zugzwang handeln.