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Schüssel: Es sei "geradezu absurd", dass kurzfristige Finanzspekulationen und die Schiff- und Luftfahrt nicht besteuert würden.

Foto: APA/Harald Schneider
Straßburg - In seiner Rede zum Auftakt der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft forderte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eine stärkere Eigenfinanzierung der Europäischen Union. Schüssel glaubt dabei an Unterstützung von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso bei der Überarbeitung des Budgets 2008/09. Es sei "geradezu absurd", dass kurzfristige Finanzspekulationen und die Schiff- und Luftfahrt nicht besteuert würden, so Schüssel.

Es könne nicht sein, dass die Europäische Union "aus den angespannten nationalen Budgets alles herausschneidet", was sie benötigt, meinte der Kanzler. Das EU-Langfristbudget für 2007 bis 2013 werde das Letzte sein, dass man noch mit der bestehenden Finanzierungsstruktur zusammenbringen werde. "Wir stoßen an Grenzen. Die alte Art der Finanzvereinbarung funktioniert nicht mehr. Das nächste Mal werden wir uns umbringen", so Schüssel wörtlich nach seiner Parlamentsrede vor Journalisten.

Griff nach nationalen Budgets

Derzeit stammten weniger als zehn Prozent des EU-Budgets aus Eigenmitteln der Union. 90 Prozent kommen aus den nationalen Budgets.

Die EU-Parlamentarier haben am Mittwoch den im Dezember erreichten Finanzkompromiss der Regierungschefs mit breiter Mehrheit abgelehnt. 541 Parlamentarier wiesen den Finanzierungsvorschlag der EU-Staats- und Regierungschefs vom Dezember als unzureichend zurück. Lediglich 56 Abgeordnete billigten den Kompromiss, 76 enthielten sich der Stimme. Sozialdemokraten, Konservative, Liberale und Grüne forderten einhellig mehr Geld für die Union und eine Verschiebung der Mittel in die Forschung und Bildung.

EU-Kommissionspräsident Barroso warnte im Plenum vor den Folgen, sollte bis Ende des Jahres keine Einigung über den Etat zu Stande kommen. Dies würde beispielsweise die Strukturhilfemittel zur Förderung benachteiligter Regionen gefährden. Darunter würden vor allem die neuen EU-Staaten leiden.

"Applausmaschine"

Schüssel dagegen zeigte sich am Mittwoch wenig irritiert über die erste Ablehnung. "Das Europaparlament ist keine Applausmaschine. Ich wäre überrascht gewesen, hätte es ohne Wenn und Aber zugestimmt", so der Ratsvorsitzende. Das Mehrjahresbudget muss von EU-Rat und -Parlament gemeinsam beschlossen werden. Nach der Ablehnung müssen die Institutionen nun Verhandlungen aufnehmen.

Der EU-Ratsvorsitzende erwartet bereits in den nächsten Tagen ein Verhandlungsmandat der Mitgliedsstaaten. Wenig Spielraum sieht er in der Höhe des Gesamtbudgets. Bei der Verteilung gebe es noch "Manövrierraum."

Road map für Verfassung

Zweites Kernthema in der EU-Parlamentsdebatte in Straßburg war am Mittwoch die neue EU-Verfassung. Schüssel kündigte bei seinem Auftritt "bis Juni eine Wegskizze oder wie es neumodisch heißt eine Road map mit Zeitplänen" für die Verfassungsdiskussion an. Bis dahin werde man diese Diskussion über die Zukunft Europas "gemeinsam mit dem Europa-Parlament und der EU-Kommission den nationalen Parlamenten und natürlich der europäischen Öffentlichkeit" zu führen haben. Die österreichische Ratspräsidentschaft werde dafür sorgen, dass dies kein "elitärer Diskurs" werde.

Beim Frühjahrsgipfel unter der österreichischen Präsidentschaft wird es laut Schüssel außerdem auch die Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen und um die verstärkte Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung gehen. Bei der Debatte um die neue Dienstleistungsrichtlinie verlangte Schüssel einmal mehr die Einbindung der Sozialpartner.

Außerdem erneuerte er seine Kritik an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH). "Entscheidend ist die Balance zwischen Gemeinschaftsrecht und subsidiärem Recht", sagte Schüssel. Um dem Zentralismus entgegenzuwirken, will Österreich nach Ostern eine Konferenz zum Thema Subsidiarität abhalten.

Gemischte Reaktionen

Die EU-Abgeordneten reagierten am Mittwoch geteilt auf die Rede Schüssels. Der Vorsitzende der europäischen Volkspartei Hans-Gert Pöttering begrüßte das Engagement Schüssels. Aussagen wie vom niederländischen Außenminister Bernard Bot, wonach die Verfassung "tot" sei, seien abzulehnen. Deutlichere Kritik kam dagegen vom Vorsitzenden der Europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz: In allen Zukunftsbereichen würde im Budget massiv gekürzt werden. Die europäischen Bürger wollten mehr Arbeitsplätze, innere Sicherheit und einen Beitrag Europas zur internationalen Stabilität.

Auch der Chef der europäischen Liberalen, Graham Watson, bezeichnete die Einigung über das EU-Budget als die "Hauptaufgabe der österreichischen Ratspräsidentschaft". Nach dem Ratsvorschlag würde die EU weiterhin "zu viel für Struktur- und Agrarfonds ausgeben" anstatt in Bildung und Forschung zu investieren. Der Fraktionsleiter der Grünen, Daniel Cohn-Bendit, beklagte, dass sich Schüssel weder zu den CIA-Gefängnissen, noch zum zum umstrittenen Herkunftslandprinzip im Rahmen der Debatte um eine neue EU-Dienstleistungsrichtlinie geäußert habe. Damit werde die "soziale Gerechtigkeit in Europa kaputt gemacht", warnte Cohn-Bendit.

Schüssel als Kommissionspräsident

Uneinigkeit auch zwischen den österreichischen Parlamentariern: Der EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin ließ mit dem völlig überraschenden Zitat aufhorchen: "Mit vielen anderen Bürgern bin ich überzeugt, dass es in Europa besser gehen würde, wenn Schüssel EU-Kommissionspräsident wäre und nicht nur kurzzeitiger EU-Ratspräsident." Die österreichische liberale Europaparlamentarierin Karin Resetarits dagegen verglich Schüssel mit "Zeus". Im Europaparlament buhle er um die "Geliebte Europa" - daheim verschweige er sie, "um ja keinen Verdacht aufkommen zu lassen", meinte Resetarits. (APA)