Alex Turner (2 v. li.) und die Arctic Monkeys aus dem britischen Sheffield starteten ihre Karriere selbstbestimmt im Internet - und pfeifen heute auf die Plattenindustrie.

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Arctic Monkeys: Whatever People Say ... (Vertrieb: Edel)

Albumcover: Edel
Dank Internet braucht man für den internationalen Erfolg längst keine große Plattenfirma mehr.


Wien – In Großbritannien erreichte die Debütsingle I Bet You Look Good On The Dancefloor die Nummer eins der offiziellen britischen Verkaufscharts. Die so genannte breite, aber in Sachen Popkultur für Neuigkeiten unterhalb der Schwelle eines 20 Jahre alten "Gütesiegels" empfänglichere Masse will das dort hören.

In Österreich muss man es – dank der Omnipräsenz von künstlich aufrechterhaltenen, offensichtlich noch immer krampfhaft von der Industrie und ihren zunehmend älter ausschauenden Produkten und Produzenten zwischen Sting, Santana und Shakira bestimmten Märkten und diesen Langweilern geschuldeten Erbschleicher-Radiosendern für 50-jährige Besitzer des Gesamtwerks von Phil Collins – wie Ö3 billiger geben.

Inklusive den dazu passenden, eine Lizenz zum Öden besitzenden privaten Kleinformaten. Es ist zum Verzweifeln. Immerhin aber: Auf dem studentischen, staatseigenen Opinion-Leader-Frequenzhalter FM4 sind die Arctic Monkeys derzeit an der Spitze der Publikumshits zu finden.

Die mit den Geburtsjahrgängen 1985/86 selbst für britische Verhältnisse blutjunge Band aus der mausgrauen Industriestadt Sheffield vertraut mit besagter Erfolgssingle und auch auf dem Ende dieser Woche erscheinenden Albumdebüt Whatever People Say I Am, That's What I'm Not zwar nicht gerade auf revolutionäre Inhalte.

Der aktuellen wie auch schon wieder einige Jahre anhaltenden Wiederentdeckung der späten 70er- und frühen 80er-Jahre gewinnen die vier Buben um Sänger und Gitarrist Alex Turner allerdings nicht nur nostalgische Erkenntnisse für eine eigene Jugend im Zeichen der Secondhandkultur ab.

Selbst verwalteter Pop

Im Gegensatz zu akademischer verorteten Bands wie Franz Ferdinand, besseren Kopisten wie The Dead 60s oder zukunftsweisenderen Stilisten wie The Infadelssic oder Hard-Fi verweisen die Arctic Monkeys allerdings voller gesund proletarischem Selbstverständnis auch von den zackigen New-Wave- und Post- Punk-Zeiten, auf die sich alle immer berufen, in die bluesigeren Sixties zurück. Dorthin, wo einst The Who ihre Gitarrenriffs aus den Verstärkern stanzten, zieht es auch Alex Turner und seine drei Begleiter hin.

Das führt zu zwingend auf die Tanzböden von gitarrenlastigen Untergrund-Lokalen gerammten Songs wie Fake Tales Of San Francisco oder Dancing Shoes – oder zu melodisch hochexplosiven Singles wie I Bet You Look Good On The Dancefloor, voller Breaks, Neuanläufe, Irrwege und verzückter Randale. Wunderbar!

Meist kommen zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug dabei ganz ohne etwaige technische Schwächen verdeckende Soundeffekte, dafür staubtrocken bis zum Anschlag aufgedreht daher. Sie rumpeln zwischen den gestandenen, breitbeinigen Power-Akkorden eines Pete Townsend oder im Fach junger Leute von heute obligatorischer Ska- und Funk-Rhythmen und ein wenig menschenfeindlicher Autodidakten-Punk-Sperrigkeit.

Dazu gibt der kehlig im Slang skandierende Alex Turner einen in jeder Hinsicht bodenständigen Chronisten der täglichen Probleme Heranwachsender zwischen dem letztlich auch nur blau gefärbten neuen britischen Job- Wunder, Alltagstristesse und manisch-depressiven Schüben im Nachtleben zwischen Polizei, unbezahlbaren Taxis und abgewiesenen Anträgen sowie einer familiären Umgebung, in der man den Tod schon lange vor dem Sterben erleben kann.

Die eigentliche Qualität der Arctic Monkeys erschließt sich allerdings abseits der hochenergetischen Performances auf Bühnen wie auf der jetzt erscheinenden Langspiel-CD gerade auch über ein für Rock- und Popbands klassischer Prägung relativ neues Phänomen. So wie auch ihre gegenwärtig international für Furore sorgenden, allerdings hysterisch-milderen New Yorker Kollegen Clap Your Hands Say Yeah haben sich die Arctic Monkeys ihren kommenden internationalen Erfolg nicht nur bei unzähligen, lange vor dem Plattenvertrag absolvierten Konzerten über eine treue Fan-Gemeinde aufgebaut. Gerade auch weil die Band diverse Songs ihres jetzt offiziell vorliegenden Debütalbums in diversen Versionen schon seit gut einem Jahr gratis im Internet zum Download anbietet, wird der Erfolg überhaupt auch über Verkäufe am Ladentisch erst möglich. Für die Plattenindustrie eine weitere verdiente Schlappe im Zeichen von Download-Prozessen und sinkenden Verkaufszahlen. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2006)