Irene Jancsy

Wie heißt es so schön in der Präambel: "Unser Land nimmt die hellen und die dunklen Seiten seiner Vergangenheit ... als seine Verantwortung an." Worte mit beschränkter Aussagekraft. Einmal hell und einmal dunkel, so ist das Leben. Und sonst?

Für jene, die sich in den per Präambel als dunkel definierten Zeiten ins Ausland retten konnten und die sich seither nicht mehr zurückgetraut haben zu den Mitbürgern, die ihnen seinerzeit nach dem Leben trachteten, arbeitet seit Jahren in Wien der Jewish Welcome Service. Finanziert von Gemeinde und Bundeskanzleramt organisiert das kleine Büro unter der Leitung von Leon Zelman Wien-Besuche für Emigranten.

Etwa 4000 sind bisher gekommen, unzählige hoffen noch auf eine Einladung. Sie möchten noch einmal sehen, wo sie als Kinder spielten, träumen von einem Abend in der Oper, oder wollen Gräber besuchen. Gemeinsam ist ihnen das Bedürfnis, doch noch mit diesem Land ins Reine zu kommen, das ihnen einst keine Heimat sein wollte.

Damit soll jetzt Schluss sein. Zumindest wenn es nach der Bundesregierung geht. Vor ein paar Wochen wurde dem Jewish Welcome Service in einem knappen Schreiben aus dem Bundeskanzleramt mitgeteilt, für die nächste vereinbarte Zahlung stünden keine Mittel zur Verfügung. Der für September geplante Besuch einer Gruppe von 60 Personen muss deshalb wahrscheinlich abgesagt werden.

Nun sind wir es im rechten Wende-Alltag ja längst gewöhnt: Überall wird eingespart, gekürzt, weggezwickt und immer wieder trifft es dabei gerade jene Projekte und Institutionen, deren Arbeit uns für eine aufgeklärte Gesellschaft als besonders wichtig erschien. Das war nicht anders zu erwarten. Erstaunlich ist nur die Unverfrorenheit, mit der selbst in die heikelsten Bereiche hineingefahren wird. Nur zur Erinnerung: Österreich ist nicht zuletzt wegen des notorisch verlogenen Umgangs mit der braunen Vergangenheit international in Misskredit geraten.

Gäbe es die vom Jewish Welcome Service organisierten Wien-Reisen noch nicht, spätestens jetzt müsste man sie erfinden. Hier mit Budgetnöten zu argumentieren, ist entlarvend. Es geht um etwa zwei Millionen Schilling im Jahr. Dafür müsste im rigorosesten Sparbudget Platz sein, wenn das pathetisch proklamierte Verantwortungsgefühl für die Gräuel der NS-Zeit mehr sein soll als Heuchelei. Wo sonst gibt es die Möglichkeit, mit vergleichsweise geringen Mitteln eine so persönliche Geste der Versöhnung zu setzen? "Es hat wirklich geholfen, einigem Leid abzuhelfen und die guten Erinnerungen wieder in den Vordergrund treten zu lassen", schreibt eine Teilnehmerin an der vorläufig letzten Reise in einem Dankesbrief an Zelman und sein Team.

Doch die Regierung Schüssel hält Gesten dieser Art für verzichtbar. Demut passt zum Machtrausch nicht. Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Vergangenheit - abseits von schwülstigen Beteuerungen - entspricht nicht dem Geist der Wende.

Nur so ist auch zu erklären, dass die finanziellen Nöte der 21 österreichischen Gedenkdiener - Zivildiener an Holocaust-Gedenkstätten im Ausland - von den Verantwortlichen völlig ungerührt hingenommen werden. Der Versuch, vom Außenministerium einen Zuschuss für den von den Einsparungen beim Zivildienst besonders stark betroffenen Gedenkdienst zu bekommen, blieb erfolglos. Offenbar vermag nicht einmal die internationale Medienwirksamkeit des Projekts, es zu retten.

Kein Wunder, denn die FPÖ kann in derartigen Initiativen ganz offenkundig überhaupt keinen Sinn erkennen. So argumentierte Helene Partik-Pablé zur Frage der Gedenkdiener, Zivildiener sollten lieber in Österreich Sozialdienst verrichten, als "Gedenktafeln in Jerusalem pflegen". Dass das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus mehr ist und sein muss als Denkmalpflege, ist der altgedienten FPÖ-Politikerin offenbar noch nie durch den Kopf gegangen. Zu fürchten ist, dass Partik-Pablé damit den innerparteilichen Diskussionsstand widerspiegelt.

Beachtlich ist ansonsten noch, wie schnell und reibungslos sich Wolfgang Schüssels ÖVP (die zumindest Maria Rauch-Kallat für die Partei der Widerstandskämpfer hält) in dieser Frage an das Weltbild des Koalitionspartners angepasst hat. Die Regierung bestätigt so ihre schärfsten Kritiker. Mit Indifferenz und mangelnder Sensibilität setzt sie ein deutliches Zeichen: Die alten Geschichten interessieren uns nicht. Die Vergangenheit geht uns nichts an. Von wegen Präambel: dnkle Seiten? Helle Seiten? Es ist eh alles eins.

Traurig. Aber so ist das nun einmal in Zeiten, in denen so kleine Geister so lange Schatten werfen dürfen.

Irene Jancsy ist freie Journalistin in Wien.