Es gibt Autoren, schreibt Michel Foucault, die nicht nur die Verfasser ihrer eigenen Werke sind, sondern weit mehr zustande bringen. Freud sei eben nicht nur der Autor der Traumdeutung, Marx nicht nur der Verfasser des Kapital. Beide, so Foucault, schufen gänzlich neue Diskursformen; sie seien "Begründer von Diskursivität". Etwas simpler formuliert: Marx und Freud haben neue Fenster zur Welt aufgestoßen, sie haben ermöglicht, neu über die Welt nachzudenken. Nach Marx konnte der Kapitalismus mit anderen Augen gesehen werden, und gewiss hat Freud es geschafft, dass der Mensch sich selbst mit etwas weniger Illusionen betrachtete.

Marxens Darstellung der Gesellschaft und Freuds Bild des Individuums waren und sind wirkungsmächtige Interpretationen der sozialen Welt. Und beide wurden selbst interpretiert, mit den bekannten Folgen. Freud ist vielen vor allem durch den nach ihm benannten Versprecher bekannt und durch die Idee, dass Träume irgendwie wichtig sind. Auch wenn viele seiner Ideen heute als falsch, gefährlich oder absurd gelten, hat Freud nicht nur Spuren in der Wissenschaft hinterlassen, sondern auch im Alltagsverstand. Wo man von Marx lernen kann, dass Geld die Welt regiert, sagt uns Freud, dass es der Sex ist, der die Dinge am Laufen hält. Manche schaffen es, beides zusammenzudenken. Der US-amerikanische Ökonom Robert Heilbroner zum Beispiel hat oft formuliert, Natur und Logik des Kapitalismus seien nicht zuletzt von unbewussten Wünschen und Begierden bestimmt.

Dass nicht allein die Vernunft den Lauf der Dinge bestimmt, ist in der Tat wirtschaftlich relevant. Die moderne Wirtschaftswissenschaft ist nach wie vor vom Bild des Menschen als rationale Nutzenmaximierungsmaschine geprägt. Dass die Wirtschaft aber auch irrationale Verhaltensweisen kennt, weiß jedes Kind (übrigens auch jeder Wirtschaftswissenschafter). Käuferverhalten, Kursschwankungen, Ressourcenverschwendung - all diese Dinge deuten auch darauf hin, dass Unbewusstes die wirtschaftliche Welt wesentlich prägt. Freud hat gezeigt, dass hinter den bewussten Motiven der Akteure noch mehr schlummert. Wer also verstehen will, was die Wirtschaft treibt (oh, welch Doppeldeutigkeit), muss zwar nicht Freud lesen. Aber der Gedanke, dass der Mensch nicht Herr im eigenen Haus ist, geht eben nicht auf Adam Smith oder John Maynard Keynes oder Joseph Alois Schumpeter zurück, sondern auf Freud.

Es sei nicht gut, hat Freud geschrieben, "Begriffe weit weg von dem Boden zu versetzen, auf dem sie erwachsen sind" - gleichwohl ist es interessant, einen Blick auf die Verwendung des Begriffs "Ökonomie" bei Freud zu werfen. In Das Unbehagen in der Kultur spricht Freud von "Glücksökonomie". Er eröffnet einen Text mit dem sprechenden Titel Das ökonomische Problem des Masochismus wie folgt: "Man hat ein Recht dazu, die Existenz der masochistischen Strebung im menschlichen Triebleben als ökonomisch rätselhaft zu bezeichnen." Die Frage, wie Un-Lust von Nutzen sein kann, ist für Freud nicht zuletzt ein wirtschaftliches Problem. Auch Jenseits des Lustprinzips wird von Freud mit dem Verweis auf "den ökonomischen Gesichtspunkt" eingeleitet.

Na und? Nun, man könnte diese Äußerungen zum Anlass nehmen, dem Ökonomischen im Un-Ökonomischen und dem Un-Ökonomischen im Ökonomischen Aufmerksamkeit zu schenken. Viele beklagen eine zunehmende Ökonomisierung unserer Welt, und in der Tat kann man darüber besorgt sein, dass wirtschaftliche Rationalität immer tiefer in immer mehr gesellschaftliche Bereiche vordringt. Aber gerade wenn das als Problem gesehen wird, hilft vielleicht der Blick darauf, dass es auch in (post-)modernen Gesellschaften Rituale gibt, deren ökonomische Vernunft sich nicht jedem erschließt: Militärparaden, Autorennen, Karneval wären Beispiele. "Ein Fest", so Freud in Totem und Tabu, "ist ein gestatteter, vielmehr ein gebotener Exzeß, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes". Liegt hier nicht ein deutlicher Hinweis auf die "ökonomische" Funktion, die Feste haben können, nämlich den Übertritt von (wirtschaftlichen) Normen wie Reziprozität, Verhältnismäßigkeit und Effizienz?

Über Ökonomie nachdenken heißt Reflexion über Ziele und Mittel. Knappheit der Mittel ist Dreh- und Angelpunkt modernen ökonomischen Denkens. In einem programmatischen Aufsatz hat Lionel Robbins Anfang der 1930er-Jahre formuliert: "Wir sind aus dem Paradies vertrieben worden." Und weiter: "Knappheit von Mitteln zur Befriedigung von Zielen unterschiedlicher Wichtigkeit ist eine fast allgegenwärtige Bedingung menschlichen Handelns." Ökonomisch geht es darum, wie knappe Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele eingesetzt werden sollen. Ein Ziel, das sich in letzter Zeit erhöhter wirtschaftswissenschaftlicher Aufmerksamkeit erfreut, ist das Glück.

Auch hierzu hat Freud uns etwas zu bieten. Menschen, so Freud in Das Unbehagen in der Kultur, wollen "Glück, sie wollen glücklich werden und so bleiben". Das Lustprinzip setze den Lebenszweck. Aber leider: "Es ist überhaupt nicht durchführbar, alle Einrichtungen des Alls widerstreben ihm; man möchte sagen, die Absicht, daß der Mensch 'glücklich' sei, ist im Plan der 'Schöpfung' nicht enthalten." Dieser Pessimismus ist vielleicht ein Grund dafür, dass Freud unter Glücksforschern nicht allzu beliebt ist. Und doch formuliert er etwas, das man in aktuellen Texten durchaus wieder erkennen kann: "Jede Fortdauer einer vom Lustprinzip ersehnten Situation ergibt nur ein Gefühl von lauem Behagen; wir sind so eingerichtet, daß wir nur den Kontrast intensiv genießen können, den Zustand nur sehr wenig."

Zusammengefasst: Freud kann hilfreich sein, wenn man über Wirtschaft nachdenkt. Ehren wir den Jubilar zum 150. Geburtstag also dadurch, dass wir ihn auch ökonomisch sehen. Abwegig? Nun: "Man kann sich doch einem Gedankengang hingeben, ihn verfolgen, so weit er führt, nur aus wissenschaftlicher Neugierde oder, wenn man will, als advocatus diaboli, der sich darum noch nicht mit dem Teufel selbst verschreibt." (Sigmund Freud) (Fred Luks/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22. 1. 2006)