Gerhard Garstenauer

Fotos: Aus dem Buch Garstenauer, Pustet, AzW, erschienen 2002

Garstenauers Gastein-Architektur der 70er-Jahre bleibt Weltklasse, der Umgang damit eine Schande, ...

Fotos: Aus dem Buch Garstenauer, Pustet, AzW, erschienen 2002

... die Beschäftigung damit Pflicht für die aktive Architektengeneration.

Fotos: Aus dem Buch Garstenauer, Pustet, AzW, erschienen 2002

Er blieb, was er immer bleiben wollte: Architekt in Salzburg. Doch was Gerhard Gartenauer (80) in seinem Aktionsradius baute, hatte Klasse und Gültigkeit – weit über die Grenzen des Bundeslands und seiner Generation hinaus. Vor allem seine Planungen für das Gasteinertal waren bahnbrechend und nachgerade visionär. Vielleicht kamen sie zu früh.

STANDARD: Was ist Architektur?

Gerhard Garstenauer: Für mich ist Architektur kein Willkürakt, sondern ein Akt der Sinnverwirklichung. Die Frage nach Sinn und Wesen der Aufgabe muss im Vordergrund aller Überlegungen stehen. Das kann ich bis zum heutigen Tag verifizieren, indem ich die Qualitätsmerkmale bloßlege. Architektur darf keiner Mode, keiner Laune gehorchen. Alle diese Dinge habe ich versucht, durch konsequente methodische Vorgänge beim Entwerfen abzubauen. Das geht so weit, dass ich für fast jede Aufgabe vorab eine schriftliche Formulierung vorgenommen habe. So kam es, dass meine Einstellung zur Architektur von dieser Art ist. Sie gehorcht keinen Launen.

STANDARD: Gelten Ihre Grundsätze auch nach 45 Jahren des Architekturschaffens noch?

Garstenauer: Ich bin konsequent dieser Meinung, weil ich die Architektur für eine echte Disziplin halte, die nicht aus dem Bauch heraus entwickelt werden kann. Wie der Wortstamm schon sagt, geht das mit Blähungen einher, mit übertriebenen Interpretationen einer Gefühlsseite. Diese Aus-dem-Bauch-heraus-Definitionen führen permanent zu Auswüchsen, die wir sehr kritisch betrachten sollten. In meiner Generation befindlich habe ich eine konkrete Beziehung zur klassischen Moderne und zur historischen Architektur und bin sehr empfindlich in der Frage der modischen Interpretation von architektonischen Aufgaben, für die es zahlreiche Beispiele gibt.

STANDARD: Welche Qualitätsfaktoren machen Sie dingfest?

Garstenauer: Es geht um Merkmale, an denen man ablesen kann, ob es sich wirklich um Architektur handelt: Ein verlässliches Hilfsmittel ist die Konstruktion. Sie ist das konstituierende Element der Gestaltung schlechthin. Wir sind keine Bildhauer, wir sind keine Maler, wir konstruieren. Ob es die ägyptischen Pyramiden sind, die griechischen Tempel oder eine gotische Kathedrale – es sind Konstruktionen, die Dauerhaftigkeit haben. Was man etwa heute an griechischen Tempeln sieht, ist das, was bleibt: Idee, Konstruktion, Material. Dass das früher ganz anders ausgesehen hat, wissen wir natürlich. All das ist verschwunden, und trotzdem stehen diese herrlichen Dinge da. Konstruktion ist allerdings auch ein belastetes Schlagwort, weil man darunter landläufig die sterile Erfüllung statischer Prinzipien versteht. Doch darum geht es nicht.

STANDARD: Hat sich der Sinn in der Architektur nicht deutlich verschoben?

Garstenauer: Für mich nicht. Architektur bleibt immer die gleiche Grundproblematik. Wenn man ein Haus baut, muss man einen Sinn damit verbinden, es handelt sich ja nicht um eine Spielerei. Das Kontinuum, das durch alle Zeiten gleich bleibt, sind die Werte der Sinnverwirklichung und die Konstruktion, die Proportion, die Idee. Das sind die Grundmerkmale des architektonischen Agierens. Ich habe stets Ausschau gehalten nach Qualitätsmerkmalen in Hinblick auf die Form. Was natürlich das Höchste ist, aber den meisten ein Rätsel bleibt.

STANDARD: Sie haben sehr früh, gerade was die Konstruktion anlangt, radikale Ideen verwirklicht – durchaus Ideen, die heute von der ganz jungen Generation vermeintlich erfunden werden. Sehen Sie sich als Avantgardist?

Garstenauer: Ich beobachte seit zwei Jahrzehnten, wie in der jungen Architektengeneration die Fähigkeit abnimmt, die Tätigkeit an diesen Qualitätsmerkmalen zu orientieren. Es hat nichts eine ordentliche Konstruktion! Da wird man verführt von den Dekonstruktivisten, die mit der Konstruktion nur das Dekonstruieren gemein haben. Ich habe mir viele internationale Beispiele angeschaut. Ich halte das meiste davon für Willkürakte. Die Architekten können die einfachsten Sachen nicht konstruieren, weil sie nicht mit Sinn und Wesen der Aufgabe vertraut sind, sondern sie spekulieren, wie sie sich in der Gesellschaft mit außergewöhnlichen Merkmalen positionieren können – als besonders modern, als besonders der Form verbunden, und das ergibt in meinen Augen sonderbare Ergebnisse.

STANDARD: Der rote Faden in der Architektur scheint derzeit die Eitelkeit zu sein?

Garstenauer: Es gibt keine ernst zu nehmende Fortsetzung architektonischen Agierens im historischen Zusammenhang. Die vorhin angesprochene Konstruktion muss natürlich in das übrige architektonische Gestaltungsfeld eingebunden sein, das von Aufgabe, Material, Proportion, Funktion geprägt ist. Das sind ewige Werte, die man an jeder noch so banalen Aufgabe nachweisen kann.

STANDARD: Sie selbst haben Architektur gelehrt und als einer der Ersten immer wieder darauf gepocht, dass Architektur aktiv vermittelt werden muss.

Garstenauer: Das ist alles unbeachtet geblieben. Die Planungsmethodik, das kennt man nicht in architektonischen Kreisen.

STANDARD: Sie hatten ein etabliertes Architekturbüro in Salzburg. Eine fruchtbare Kooperation mit Ihren Mitarbeitern war Ihnen wichtig?

Garstenauer: Ab einem gewissen Alter ja: weil ich Synthetiker bin und so die Dominanz des Chefs wegfällt. Die Architektur ist eine typische Synthesedisziplin, in der die Elemente des einen mit jenen des anderen zu einem Höheren gebracht werden sollen. Ganz allein kann man als Architekt nicht leben, das ist zum Verhungern. Ich habe es versucht, aber das war unmöglich. Erst musste ich ja den Leuten alles ausreden, was sie an Vorstellungen eines Hauses hatten. Stellen Sie sich vor! Ich war hier einer der Ersten, die Flachdächer gebaut haben. Was ich da mitgemacht habe, kann ich gar nicht sagen.

STANDARD: Wie haben Sie sich durchgesetzt?

Garstenauer: In einem Fall habe ich es letztlich aufgegeben, obwohl ich einige durchgesetzt hatte. Ein Haus zum Beispiel wurde von Wüstenrot nicht finanziert, weil es eben ein Flachdach hatte. Da musste ein Satteldach drauf. ST

STANDARD: Hat sich an dieser konservativen Haltung in Salzburg mittlerweile etwas geändert?

Garstenauer: Nein. Im Gegenteil. Die Öffentlichkeit ist so verunsichert, dass sie jeden Blödsinn gutheißt und sich keiner Nein zu sagen traut, weil man fürchtet, als hinterwäldlerisch und konservativ abgestempelt zu werden. Die klare Sicht ist für uns Architekten schon nicht einfach, deshalb verüble ich es den Leuten auch nicht, wenn sie Qualität nicht erkennen. Ich finde auch, dass die Sicht auf die zeitgenössische Architektur medial völlig danebengeht. Es werden die falschen Projekte gezeigt und die falschen Merkmale herausgestellt. Es ist ja auch schwierig. Man fängt eben nicht an mit: Das gefällt mir, das gefällt mir nicht. Diese Argumentation verachte ich.

STANDARD: Welche Kräfte haben Ihre Qualitätskriterien geformt?

Garstenauer: Eine gewisse Leitfunktion hatte Konrad Wachsmann. Er hat uns den Wert einer Konstruktion beigebracht. Er hat sich damit allerdings vor allem auch ästhetisierend auseinander gesetzt, und sein Ästhetizismus war mir anrüchig. Wir haben Fachwerke gezeichnet und diskutiert, am Ende kam fast ein Bauwerk heraus. Eines der Projekte habe ich kritisiert, weil dort Nullstäbe drinnen waren, die keinerlei konstruktive Bedeutung hatten.

STANDARD: Sie haben sich bereits mit zeitgenössischer alpiner Architektur auseinander gesetzt, als noch der Stadl Standard war. Derzeit geht das Bauen für den Bergtourismus eher in Richtung Design, Stichwort Zaha Hadid. Können Sie damit etwas anfangen?

Garstenauer: Hadid macht das sehr geschickt, sie positioniert sich außergewöhnlich. Aber mich interessiert etwas, das weiterführend ist und nicht nur heute gilt. Dekoratives Übergewicht ist mir suspekt.

STANDARD: Wie begründen Sie diese, sagen wir, Exaltiertheit in der Architektur?

Garstenauer: Sie ist nichts anderes als die Sucht nach dem Neuen, die es immer gab, und darum werden die absurdesten Register gezogen. Ich sehe diese Masse der Architekten vor mir. Sie starren alle auf das Außergewöhnliche, auf die Stars. Jeder möchte so einer werden. Ich bin auch nicht ganz frei davon, aber ich habe mich immer selbst – und die Form – diszipliniert.

STANDARD: Ihre Architektur ist jedenfalls für österreichische Verhältnisse außergewöhnlich ...

Garstenauer: Sie ist es gewesen. Meine Tätigkeit ist Geschichte. Sie reicht 45 Jahre zurück.

STANDARD: Geschichte ist auch Ihre Gasteiner Architektur, die weltbekannt wurde. Wie konnten Sie sie durchsetzen?

Garstenauer: Das war von Glück und Zufällen geprägt und stand in direktem Zusammenhang mit dem damaligen Gasteiner Bürgermeister. Aber noch 14 Tage vor der Eröffnung des Felsenbades kam der Gemeinderat auf die Baustelle. Man sagte: Herr Architekt, die Betonkist'n da können Sie sich am Hut stecken. Ich habe gemeint: Reden wir nach der Eröffnung weiter.

STANDARD: Clemens Holzmeister hat dann eine euphorische Eröffnungsrede gehalten, das Felsenbad machte Sie schlagartig international bekannt.

Garstenauer: Er war erregt, weil keiner zuvor so einen Felsraum gesehen hatte. Es wurde ein Welterfolg, nach einem Jahr hatten wir den millionsten Besucher. Ich wurde international eingeladen, Professuren wurden mir angeboten.

STANDARD: Sie haben in der Folge Kongresshaus, Gondeln, Berg- und Talstationen in Sportgastein geplant und mit den kugelförmigen Stationen dem gesamten Tal ein Image gegeben.

Garstenauer: Jetzt ist eigentlich fast alles total ruiniert. Das Felsenbad ist umgebaut zu einer Scheußlichkeit, und die Naturschutzbehörde hat vor einigen Jahren die Gemeinde per Bescheid dazu aufgefordert, die Kugeln, die sie zuvor selbst kommissioniert hatte, entfernen und durch Blockbauten mit Satteldach ersetzen zu lassen, weil sie nicht in die Landschaft passen. Ich konnte gar nichts machen. Nur eine davon steht noch, weil jemand meinte, das wäre doch das Wahrzeichen von Gastein. Ein Unternehmer wurde für die Entsorgung bezahlt. Er hat eine der Kugeln wieder aufgestellt – als Verkaufsraum. Und ein Kunsthistoriker hat eine der alten Gondeln in einem Heustadel unter Gerümpel gefunden. Die hängt jetzt als Relikt in der Halle der neuen Stubnerkogelbahn. Damit die Leute wissen, wie das früher ausgeschaut hat.

STANDARD: Sie waren Ihrer Zeit voraus.

Garstenauer: Sicher.

STANDARD: Wie gehen Sie mit einer derartigen Missachtung um?

Garstenauer: Ich führe sie auf Ungebildetheit zurück. Information ist alles. Architektur muss man lernen wie Zeichnen, Schreiben, Rechnen. Schon in der Schule muss das beginnen. In der Presse muss es sich fortsetzen. Aber all das findet nicht statt.

STANDARD: In einer Ihrer Schriften erwähnen Sie Richard Neutra, den Sie kannten. Sie zitieren aus einem Brief, in dem er seine Überlegungen zu einer Rückkehr nach Österreich darlegt. Er schreibt, er werde hier nicht geschätzt, doch er könne nur weitermachen, wenn er geschätzt werde. Haben Sie selbst genug Anerkennung erfahren?

Garstenauer: Ich bin zufrieden. Je älter ich werde, umso weniger Leute schätzen meine Arbeit, aber dafür ist die Akzeptanz derjenigen, auf die es mir ankommt, umso intensiver. (Ute Woltron, 25.1.2006)