Foto: ballesterer
Man kann es nicht mehr ertragen, das Gejapse von der angeblich Völker verbindenden Kraft, nicht mehr zuhören dem Dichter, der im Trikot von River Plate sein persönliches Scheitern mit der Wuchtel zelebriert, nicht mehr sehen die Werke des Bildhauers, der sich von Zidane inspirieren lässt, nicht mehr hören den Fangesänge analysierenden Musikwissenschafter, nicht mehr riechen den Romanisten und seine Ergüsse über Camus, den Torwart.

WM drüben, bald EM hüben, die Verintellektualisierung des Fußballs schreitet unerbittlich voran, die Demokratie hat ausgedient, die Lebensbereiche wollen heute mit Fußball durchflutet werden.

Der ballesterer leidet unter dieser Entwicklung ausgesprochen nicht, dieser Tage scheint, nach sechs zähen Jahren, sein Dasein als vierteljährliches Periodikum beendet, langsam aber verlässlich macht sich angesichts des heraufdräuenden WM-Wahnsinns deutscher Prägung auch in Corporate Austria die Erkenntnis breit, dass sich Fußball verkauft, und wer sich verkauft, den hat die Werbewirtschaft noch immer gefunden.

Der ballesterer erscheint seit Kurzem alle zwei Monate, zu verdanken ist das nicht dem Kapital, sondern dem unentgeltlichen Einsatz einer kleinen Gruppe junger Oberösterreicher, als Studenten begannen sie mit einem aus handkopierten Zetteln zusammengestoppelten Blatt, sie glaubten an konservatives Finanzgebaren, sich selbst und die Leute.

Heute sind sie Ärzte, APA-Chronikredakteure und Vertragsbedienstete im Finanzministerium, ihren kindlichen - niemals kindischen! - Blick aus der Kurve haben sie sich bewahrt, was angesichts der Werdegänge eine beachtliche Leistung darstellt.

Der ballesterer ist witzig, frech, gescheit, steht konsequent auf der richtigen Seite, dort wo man keine Spieler kaufen kann, keine Sportdirektoren absetzen, keine Trainer abschasseln darf. An den Hälsen seiner Leser baumeln keine Pay-TV-gesponserten Halsbänder, die Zutritt zu Flachbildschirmen und Do&Co-Buffets gewähren, sie nehmen Räume ein, in denen man im Winter friert, im Sommer schwitzt und überteuerte Schnitzelsemmeln isst, sie sitzen in der zweiten Klasse eines ÖBB-Waggons irgendwo zwischen Parndorf und Wörgl, trinken Puntigamer zum Frühstück - und lesen auf dem Weg ins Feindesland den ballesterer.

Der ballesterer ist ein demokratisches Blatt, der Hilfsarbeiter kann ihn ebenso gut lesen wie der Uniprofessor, ersterer tut es trotzdem nicht, letzterer auch nur zögerlich, Gott und Peter Linden sei's geklagt.

Die Qualität der Berichterstattung ist hoch, jene, die ihm vorgeworfen haben, dass er den österreichischen Fußballjournalismus trotzdem nicht retten wird, gehören in der Regel ohne Ausnahme zum sportpublizistischen Establishment, das sie insgeheim verachten und ihr Heil deshalb in der Fahrradtechnik suchen.

Jeder auf seinen Platz! Die Journalisten zum Sudern in die Kaffeehäuser, die Intellektuellen zum Diskutieren auf die Podien, auf jeden Fall nicht in den O-Wagen voll mit Rapidlern, die "Es fährt eine U-Bahn von Favoriten nach Auschwitz" anstimmen. Dort sitzt er im Eck, der ballesterer-Leser. Er hat sich die Windjacke bis oben hin zugezogen, er verkriecht sich hinter seinem Blatt, er schämt sich, dass er nicht den Mumm hat, aufzustehen und den Mund aufzumachen. Wenigstens das. (DER STANDARD; Printausgabe, 25.1.2006)