Wien/Abuja - "Ich war vielleicht blöd", sagt Gerhard F. (62) zu seiner Zeit als österreichischer Konsul in der nigerianischen Metropole Lagos. Aber den Vorwurf des Amtsmissbrauchs will sich der mittlerweile pensionierte Diplomat nicht gefallen lassen. Am Mittwoch begann im Wiener Landesgericht ein erster Prozess zur so genannten Visa-Affäre.

Im Gegensatz zu anderen mutmaßlichen Korruptionsfällen an weiteren Botschaften, die sich alle noch im Ermittlungsstadium befinden, tut sich die Anklagebehörde schwer mit einem Motiv. Gerhard F. hat nämlich eines sicher nicht getan: für Visa Geld genommen. Vielmehr wirft ihm Staatsanwalt Friedrich Koenig vor, die Anzahl der Schengen-Visa gesteigert zu haben, um durch den bewiesenen Arbeitseifer vor dem Ruhestand noch schnell zum Generalkonsul befördert zu werden. Was dem Angeklagten wiederum einen Diplomatenpass gebracht hätte, der ihm für nach der Pensionierung geplante Geschäftsbeziehungen in der Ukraine zugute gekommen wäre.

"Ein sehr konstruierte Behauptung", meint Verteidiger Walter Riedl. Doch das belastende Material ist nicht nur im Laptop des Staatsanwalts gespeichert. Die 678 Visa-Anträge aus der ersten Jahreshälfte 2004, die sich bei einer Überprüfung im Nachhinein als unrechtmäßig herausgestellt haben, lagern in mehreren Kisten verpackt hinter dem Schöffensenat.

Wie ihm als Letztverantwortlichen so viele Fehler passiert sein können, ist Gerhard F. schleierhaft. Damalige Mitarbeiterinnen beschuldigen ihn, "Druck gemacht zu haben." Immer wieder seien auf seine Anweisung hin Visa für den Schengen-Raum genehmigt worden, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt gewesen seien.

Tumulte vor Botschaft

Der Angeklagte versucht es mit der Schilderung der Zustände an der damaligen Botschaft in Lagos (die neue ist in der nunmehrigen Hauptstadt Abuja): "Als ich im März 2003 hinunter gekommen bin, hat nichts funktioniert. Kein Fax, kein E-Mail, der Strom fiel fünfmal pro Tag aus. Die UV-Lampe für die Überprüfung von Dokumenten lag kaputt am Boden." Beim Visa-Schalter hätten sich täglich hunderte Antragsteller eingefunden, vor dem Bürogebäude, in dem die Botschaft untergebracht war, sei es regelmäßig zu Tumulten gekommen.

Ansuchen im Außenamt um mehr Personal seien erfolglos gewesen. "Das Ministerium wollte nichts mehr investieren, weil sich bereits eine Übersiedlung der Botschaft nach Abuja abzeichnete", meint der Konsul. Wie viel Zeit pro Bearbeitung eines Visa-Antrages zur Verfügung gestanden sei, will Senatsvorsitzender Sonja Höpler-Salat wissen. Antwort: "Zwei bis fünf Minuten." In dieser Zeit zu überprüfen: Reisedokumente, Versicherung, finanzieller Nachweis, Einladung aus und Unterkunft in Österreich, Flugticket (hin und retour) und persönliche Glaubhaftigkeit des Antragstellers.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2006)