Österreich möge doch stolz sein, dass seine Universitäten so viele ausländische Bewerber anziehen: An dieser "Weihnachtsbotschaft" Manuel Barrosos hat sich, wie dem jüngsten Interview mit dem EU-Präsidenten im STANDARD unzweideutig zu entnehmen war, nichts geändert.

Ob dies eine kluge Strategie der Europäischen Kommission ist, das EuGH-Urteil zum österreichischen Hochschulzugang zu verteidigen, sei zunächst dahingestellt. Schließlich ist allgemein bekannt, dass der massive Ansturm deutscher Bewerber auf die heimischen Medizin-Unis keinem Qualitätswettbewerb zu verdanken ist. Er ist gleichsam Resultat eines "Druckausgleichs" zwischen einem bevölkerungsstarken Numerus-clausus-Land, in dem sich über die Jahre gewaltige Warteschlangen gebildet haben, und einem Kleinstaat, in dem es bis vor Kurzem keine Zugangsbeschränkungen gab.

Andererseits: Was lässt sich ernsthaft gegen die Kernbotschaft der Kommission einwenden? Europa brauche mehr international attraktive Universitäten; und dieses Ziel werde man nicht erreichen, wenn jedes Land die Grundprinzipien der freien Mobilität und der Gleichbehandlung durch "Rosinenpicken" unterlaufe . . .

Die politische Klasse vergießt gerade wieder einmal Krokodilstränen, weil die Zustimmung der Österreicher zur Europäischen Union sinkt und - wie das jüngste Eurobarometer zeigt - mittlerweile den niedrigsten Wert unter allen Unionsbürgern erreicht hat. Nur ein Drittel der Österreicher glaubt, dass die EU- Mitgliedschaft für das eigene Land Vorteile gebracht hat.

Das steht in einem grotesken Missverhältnis zu allen Expertenurteilen, die darauf verweisen, dass Österreich überdurchschnittlich stark von der Mitgliedschaft profitiert hat. Aber dieselben Experten sagen auch, wie es zu solchen Verzerrungen in der Wahrnehmung kommt. Ein wesentliches Element ist der Usus der nationalen Regierungen, alle Erfolge auf die eigenen Fahnen zu heften und alle Probleme auf Brüssel zu schieben. Keine gute Voraussetzung, um in der Bevölke- rung das Verständnis für die Komplexitäten eines multilateralen Interessenausgleichs zu fördern.

Die österreichische Hochschulpolitik der letzten Monate ist nachgerade ein Schulbeispiel für diese These: Über das EuGH-Urteil hat sich das gesamte staatstragende Österreich, vom Bundeskanzler über den Parlamentspräsidenten bis zur Bildungsministerin, besorgt, bestürzt, verärgert gezeigt.

Da wollte auch die Opposition dem nationalen Schulterschluss nicht im Wege stehen; ihr einziger Vorwurf an die Regierung war, sie sei in Brüssel nicht energisch genug aufgetreten, um einen "Vorrang für Österreichs Studierende" durchzusetzen. Botschaft an alle Österreicher: Die in Brüssel haben uns wieder einmal über den Tisch gezogen. Und warum diese Aufregung? Weil der Europäische Gerichtshof genau so entschieden hat, wie das alle, die mit der Sachlage vertraut sind, seit mehreren Jahren erwartet haben.

Kein Zweifel, dieses Urteil hat - neben dem positiven Effekt, dass nun ernsthaft über den offenen Hochschulzugang diskutiert werden muss - problematische Auswirkungen für Österreich. An den Medizinuniversitäten Graz und Innsbruck kommen in diesem Jahr mehr als 40 Prozent der Studienanfänger aus Deutschland. Das liegt teilweise daran, dass sich die Hochschulpolitik nicht rechtzeitig auf die europäischen Realitäten eingestellt hat. Aber diese Probleme zeigen auch Schwächen im Konzept des europäischen Hochschulraums auf.

In der Art des Umgangs mit solchen Problemen wird deutlich, wie es eine Regierung mit Europa hält. Gehrer will darauf mit Ausnahmeregelungen für Österreich antworten, also mit einer defensiven Lösung, die den europäischen Hochschulraum tendenziell durchlöchert.

Die offensive Lösung eines Lastenausgleichs, die mit dem Diskriminierungsverbot voll kompatibel wäre und die großartige Idee einer unbeschränkten Mobilität der Studierenden im europäischen Hochschulraum um eine tragfähige ökonomische Basis ergänzen würde, hat sie bereits im Vorfeld verworfen. Warum? In der Schweiz, wo die kantonalen Bildungsbehörden mit derselben Selbstverständlichkeit ihre hochschulpolitische Autonomie gegenüber den "Zentralisten" in Bern verteidigen, wie das die europäischen Bildungsminister der EU gegenüber praktizieren, gibt es trotz Kantönligeist einen "gesamtschweizerischen Hochschulraum", der eine freie Mobilität zwischen den Kantonen erlaubt. Aber auf der Basis eines Lastenausgleichs zwischen den Kantonen, weil die Schweizer keinen Spaß verstehen, wenn es ums Geld geht.

Und dieses Modell hat die Schweiz auch auf zwischenstaatliche Beziehungen ausgedehnt, wenn etwa Liechtenstein, das über keine Universität verfügt, Transferzahlungen für jene Bürger leistet, die in der Schweiz studieren.

Zweifellos wäre ein Lastenausgleich innerhalb der EU-25 um vieles komplizierter als jener innerhalb der Schweiz. Im nächsten Studienjahr - gerade rechtzeitig als Erfolgsbilanz für den Wahlkampf - könnte man noch keine Lösung präsentieren. Aber ist die- ser Lastenausgleich prinzipiell unmöglich? Manchmal sollte die Politik über die nächste Legislaturperiode hinausdenken. Wenn es um Europa geht, wäre der EU-Vorsitz kein schlechter Anlass. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2006)