Österreich
Prozess gegen Polizisten, der "Rotsünderin" mit Handschellen fesselte
Er führte sie ab und ließ ihre Kinder unbeaufsichtigt auf der Straße zurück - Rechtfertigung: "Sie hat versucht, die Amtshandlung ins Lächerliche zu ziehen"
Wien - "Einen sehr krassen Fall von Amtsmissbrauch" - so Staatsanwalt Walter Geyer im Originalton - legte die
Anklage am Dienstag einem 36 Jahre alten Polizei-Hauptmann im Wiener Landesgericht zur Last. Der Beamte hatte am
17. August 1999 im Zuge eines Planquadrats in Wien-Leopoldstadt eine junge Mutter festgenommen und in Handschellen
abführen lassen, weil diese in Begleitung ihrer sechs und zehn Jahre alten Kinder nach einem Radausflug in den Prater
angeblich bei Rotlicht eine Kreuzung überquert haben soll. Der Beschuldigte wies in seinem Prozess jede Schuld von sich.
Die Festnahme sei "absolut gerechtfertigt" gewesen und habe auf den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen beruht,
behauptete der Hauptmann. Die Radlerin sei nämlich "ausgerastet", nachdem sie sich geweigert hatte, ihre Identität bekannt zu
geben. Die Frau hatte kein Geld dabei, um die über sie verhängte Geldstrafe für die behauptete Verwaltungsübertretung zu
bezahlen. Um sie anzuzeigen, hätte der Hauptmann jedoch ihre Daten benötigt.
"Vielleicht war sie nur um die Erhaltung ihrer Freiheit bemüht"
Er habe ihr erklärt, dass sie festgenommen werden müsse, falls sie sich nicht legitimiere. Sie habe ihm geantwortet: "Seids
deppert? Geld hab i kans, Ausweis hab i kan, i hab meine Kinder mit. I fahr ham!" Die Frau habe ihn gestoßen und
wegzulaufen versucht, behauptete der Hauptmann: "Sie hat sich gebärdet wie eine Furie. Sie war hektisch, hysterisch."
"Vielleicht war sie nur um die Erhaltung ihrer Freiheit bemüht", warf Richter Friedrich Zeilinger ein. Und er fügte hinzu: "Ich
habe das noch kein einziges Mal erlebt, dass jemand verhaftet worden ist, weil er bei rot über die Kreuzung fahrt." "Sie hat
versucht, die Amtshandlung ins Lächerliche zu ziehen", erwiderte der Hauptmann.
Vier Polizisten waren ihr ausgeliefert
Der Mutter waren schließlich vor den Augen ihrer Kinder Handschellen verpasst worden. Von insgesamt vier Beamten
wurde sie aufs nahe gelegene Kommissariat eskortiert. "Bevor etwas passiert, indem sie die einschreitenden Kollegen
einschließlich mich verletzt durchs Umherhauen und Hertreten", verteidigte der Hauptmann diese Maßnahme nachträglich.
"Ich habe den Eindruck, dass diese Aktion nicht unbedingt das Vertrauen der Bevölkerung in die Exekutive stärkt", meinte
der Richter.
Der Staatsanwalt verlangte in seinem Plädoyer, man möge jenen einzelnen Polizeibeamten Grenzen setzen, "die ihre
Macht missbrauchen". Die Festnahme der Frau habe dem Verhältnismäßigkeitsprinzip widersprochen. Auch hätte es weit
gelindere Mittel gegeben, um ihre Identität zu erfahren. Vor allem aber habe sich der Hauptmann nicht um die Kinder
gekümmert und diese sich selbst überlassen, als ihre Mutter weggeschafft wurde.
"Holt's es runter vom Rad."
Diese betonte im Zeugenstand, sie habe damals bei Grünlicht die Straße überquert. Weil sie sich deswegen zu zahlen
weigerte, habe der Offizier seinen anwesenden Untergebenen befohlen: "Holt's es runter vom Rad." Man habe sie gepackt:
"Und dann hat er g'sagt: 'Gebt's ihr gleich die Handschellen auffi, dass sie kane Muckn macht!' ", erzählte die Zeugin.
Nach ihrem Namen sei sie erst auf der Wachstube gefragt worden. Als ihr dort die Tränen kamen, habe ihr ein netter
Polizist erklärt: "Wir haben jetzt einen Kommandanten, der ist etwas schroffer." Abschließender Kommentar von
Rechtsanwalt Manfred Ainedter, der die Frau in Rechtsfragen vertritt: "Das, was hier passiert ist, ist ein Skandal."
Am 30. Juni wird die Verhandlung fortgesetzt. Da werden dann neben den drei am Rande beteiligten Polizisten auch Timmy und Patricia, die
Kinder der Radfahrerin, einvernommen. (APA)