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Kunst des "Bunburysierens": Manuel Witting (li.) und Joseph Lorenz erklären der Welt den Ästhetenkrieg.

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Wien - Etwa zur Hälfte von Hans Hollmanns Josefstädter Bunbury -Inszenierung, die streng genommen "nach" Oscar Wilde aufgeführt wird, wähnt man sich in einem wissenschaftlich unterkühlten, orangefarbenen Chemiekolben wie auf einem unbekannten Planeten aufgehoben.

Es ergeht einem wie dem Betrachter eines possierlichen Roboterballetts: Algie (Manuel Witting) und sein Freund John (Joseph Lorenz) werfen die Puppenärmchen, als seien sie verzweifelt schöne Lebemänner in tadelloser Haltung, die mit dem Kajalstift jede sie anwandelnde Melancholie aufspießen. Die in gefrorenen Posen vor dem Rüssel einer altväterlichen Kamera erstarren, als überfiele ihre Glieder der Frost. Die immer dann, wenn das Leben sie mit seinen plebejischen Zumutungen heimsucht, "Gurkensandwiches" und "Butterkräpfchen" in sich hineinstopfen und ansonsten so distinguiert tun wie Spaßgesellschafter.

Ein allerliebst marmoriertes Puppenbadezimmer (Bühne: Hans Hoffer), hart an die Rampe gerückt, erzählt, dass der junge Oscar Wilde bekanntlich bei dem Ästhetikreformer J. Ruskin in die Schule gegangen ist. Untersucht werden im Wiener Josefstädter Theater Geschlechterverhältnisse, auf völlig entgeisterte, schockierend stilvolle Weise: Noch nie in der Geschichte dieses Hauses war man so nahe dran an den kurrenten "Debatten" über Konstruktions- und Zuschreibungsverhältnisse, die es gestatten, aus der Naturwüchsigkeit der Genitalien Techniken sozialer Herrschaftsausübung abzuleiten.

Hollmann, ein Altmeister intelligenter Textdurchdringung, hat alle Frauenrollen männlich besetzt. Er beruft sich darin auf Wilde'sche Vorschreibungen: Lady Bracknell (Helmuth Lohner) zieht über dem knisternden Chiffon ihrer schier unglaublichen Roben einen hart pikierten Korporalmund. Sie schmeckt die Paradoxa ihrer Gängelungsversuche ab wie besonders bittere Lebertranbonbons.

Denn Algernon und John tauchen bekanntlich auf Freiersfüßen aus der abstrakten Sphäre des Salons ein in die Wildnis eines südenglischen Gartens. Sie verdoppeln ihre Personae und begehren (und erhaschen) Fräulein, die hierorts junge Männer sind: eine Gwendolen (Florian Carove), deren Spitzlippigkeit durch eine kolossale Kurzsichtigkeit geradezu absurde Höhen der Unantastbarkeit erklimmt. Eine Cecily (Boris Eder), deren puderstarrende Agonie von Sehnsucht durchweht scheint. Über allem wölbt sich aber Miss Prisms (Otto Schenk) Truthahnsteiß: Sekundenlang ist Schenk das erhabenste Geschöpf der Welt. Ab dann folgen freilich nur noch Exerzitien: Oscar Wilde, in Bleischuhen getanzt, als wäre er ein Bruder des tugendklappernden Racine. Ein Abend wie durch ein Doppelglas: ein ominöser, perverser Angstlusttraum. Nur leider eben nicht gelungen. (DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.1.2006)