Salzburg - Dem Regisseur Martin Kusej war beim "Sound Of Europe" "mit allem Respekt bisher ein bisschen fad". Um Visionen oder Dissonanzen einzubringen, waren Künstler und Kulturpolitiker als "Musen und Sirenen" zur Diskussion geladen. Doch allzu intensiv waren weder der Musenkuss noch die Sirenenklänge: Viel mehr als die von Kusej kritisierten "leeren Floskeln", die nach Auffassung des Regisseurs bisher die Konferenz in Salzburg bestimmt haben, "haben wir auch nicht zusammengebracht", resümierte Dirigent Franz Welser-Möst zuletzt selbstkritisch.

"Fähigkeit zur Balance"

"Mozart ist Versöhnung, Ausgleich, Balance von tragenden Elementen der Musik. Auch die Identität einer Gesellschaft hängt ab von ihrer Fähigkeit zur Balance", so Welser-Möst bei seiner Auftaktrede, die auf die Wurzeln der europäischen Kultur in Hellenismus und Christentum Bezug nahm. Das Gleichgewicht innerhalb der abendländischen Kultur zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, Kunst, Religion und Politik sei jedoch "im 20. Jahrhundert abhanden gekommen. Politik hat viele andere Bereiche infiltriert", sagte der Dirigent. "Vielleicht können wir von der Lichtgestalt Mozart lernen, dass das Ureigenste des Europäischen das Gleichgewicht zwischen den Disziplinen ist."

"Verständliche Ansage"

Mit seiner Forderung nach einer "Kategorienbereinigung" ("Ich kann keine Kampfanzüge mehr in Inszenierungen sehen") heimste sich Welser-Möst jedoch Kritik von Kusej ein: "Ich bin selbstverständlich der Meinung, dass Kunst absolut politisch zu sein hat", so der Theatermann, der während der Konferenz "einfach mal eine verständliche Ansage" vermisst hat.

Verständliche Bilder für Europa hat der wegen mancher Werbekampagne umstrittene Fotograf Oliviero Toscani gefunden: "Ich war drei Mal verheiratet - mit drei Frauen aus drei verschiedenen europäischen Ländern". Mit Kindern und Enkelkindern "sprechen wir sieben oder acht verschiedene Sprachen. Und wir verstehen und lieben uns trotzdem". Überhaupt sei zu fragen, ob die "Europäer einander überhaupt lieben". Die Europäer seien "überkritisch" zu einander, "wahrscheinlich weil wir einander nicht kennen". Russen und Amerikaner, Franzosen und Deutsche hätten nie geglaubt, einander mögen zu können - "bis sie sich am Strand von Rimini trafen und merkten, dass sie einander sogar lieben konnten". Europa könnte "eine neue Renaissance von Kunst, Kreativität und Spiritualität" erfahren, hoffte Toscani. "Aber wir brauchen Mut, um das Wahrheit werden zu lassen".

"Bilder brauchen keine Übersetzung"

Europa sei nicht abstrakt, sondern "wir sind Europa. Wenn Europa in einer Krise steckt, stecken wir in einer Krise", sagte der Fotograf. Toscani sprach sich für eine verstärktes Einbinden der Kunst ein: "Bilder brauchen keine Übersetzung", sagte er. "Aber ich sehe kein Bild von Europa". Die Sprache, die "die Politiker immer noch sprechen, ist nicht mehr genug, um die Welt zu erklären". Die Kreativität sei in Brüssel "sehr gering. Das Design ist mittelmäßig".

Auch der griechische Autor Petros Markaris meinte, dass Kultur "eine Hauptspeise ist, die von der Politik als Nachtisch serviert wird". "Es gibt nur eine Möglichkeit, im Alltag Nationalismus zu bekämpfen. Und das ist Kultur", sagte der Autor. Kusej plädierte dafür, "sich zu trauen, diesen 'Sound of Europe' als einen der Dissonanzen, der großen Generalpausen, des Unfertigen und sehr Unvollständigen zu behandeln."

Durchschnitt

Für ein "Europa der Qualitäten und nicht der Quantitäten" sprach sich Welser-Möst aus. "Wir werden keine Chance haben gegen die Quantitäten, die die USA oder Indien zu bieten haben." Auch seien europäische Werte notwendig, um nicht den "fortschreitenden Amerikanern hilflos gegenüber zu stehen". Welser-Möst, Chefdirigent des Cleveland Orchestras, habe während seiner Arbeit in den USA "gelernt, dass der Durchschnittsamerikaner etwas vollkommen anderes meint, wenn er von 'Values' spricht, als wir Europäer: Nämlich Haus, Auto, Hund". Kusej: "Das ist in Europa auch nicht anders". (APA)