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Mit Blick auf die Automatentheorien der nach-romantischen Zeit: Polina Semionova und Tamas Solymosi in "Coppélia".

Foto: APA/Trierenberg
Wien - Mit seiner frisch aus Ungarn importierten Coppélia hat das Wiener Opern-Ballett unter Gyula Harangozó junior nun seit vierzig Jahren auch diesen wichtigen Klassiker wieder im Repertoire. Die Premiere setzte zuerst einmal hinter alle Debatten darüber, ob in Wien ein zeitgenössischer Ballettansatz möglich sein könnte, einen Punkt.

In vielerlei Hinsicht zu Recht: Im Vergleich zu Ivan Cavallaris gegenwärtig gemeinten Tschaikowski Impressionen nimmt sich die Coppélia in der Adaption von Harangozó senior (1956) funkelnd aus. Wenn im Ballett unter "modern" das verstanden werden soll, was vor Cavallari Renato Zanella, Giorgio Madia oder auch Liz King gezeigt haben, dann bedeutet eine Kehrtwendung in Richtung Retro-Seligkeit programmpolitisch keine reizlose Option.

Die Staatsoper ist noch immer kein Ort des Experiments, sondern ein Klub, der keine Kultur des Entdeckens pflegt, sondern eine der Gefälligkeiten. Diese Oper mag für ein Ballett von heute nicht der richtige Ort sein. Sie ist nur der zurzeit offensichtlich einzig praktikable. Das heißt nicht, dass sie auf mittlere Sicht kein Platz für mehr Visionen werden kann, wenn das die Entscheidungsträger einmal wirklich wollen.

Harangozós Coppélia ist ein liebenswürdiges Stück mit einem ordentlichen Schuss Humor. Lukas Gaudernak tanzt einen wirklich komischen Coppélius, und Polina Semionova gibt eine umwerfende Swanilda. Im ersten Akt leicht und bescheiden, im zweiten, wenn sie als Puppe Coppélia verkleidet auftritt, dämonisch puppenhaft, im letzten Teil präzise, virtuos und trotzdem niemals manieriert. In der kleinen Rolle der Coppélia erweist sich Shoko Nakamura schlichtweg als brillant. Ballerinen von der Klasse dieser beiden Tänzerinnen verdienen eine realistischere Einschätzung, soll heißen, wesentlich mehr Anerkennung, als ihnen derzeit zukommt.

Es wäre durchaus spannend gewesen, Harangozós Adaption des Stoffs, der Dramaturgie und der Choreografie noch einmal zu überarbeiten, die Figuren der Coppélia und der Swanilda, des Apparats und der Nachahmung des Automaten mehr ins Zentrum der Handlung zu stellen.

Coppélia erscheint im ersten Akt in der Rahmung eines Fensters, sie starrt unbewegt in ein Buch. Mit dem lesenden Gerät und dem lebendigen Mädchen treten zwei Stereotype gegeneinander an. Doch eine Konfrontation zwischen den beiden wird vermieden. Dahinter ereignet sich ein virtueller Tanz von E. T. A. Hoffmann und Heinrich von Kleist, der Motive der Puppe und der Marionette. Doch auch das Unheimliche dieses "Auftritts" wird planiert.

Dazu passend verschwimmt der abgründige Charakter des gerissenen Manipulators Coppélius in dessen slapstickhafter Deutung. Auch wenn er in einer kreisrunden Videoprojektion gespensterhaft als schattenhafter Hampler im Mond reflektiert wird.

Das Bühnenbild des Ungarn "Kentaur" hat seinen Schöpfer sichtlich überfordert. In dem Bestreben, die Szenarien illusionistisch in der Sicht von Fischaugen-Objektiven wiederzugeben, verfängt sich der Künstler in einer starren, aufwärts gerichteten Zentralperspektive. Der Ansatz allerdings wäre sinnvoll: die Verbindung des Zuschauerblicks mit dem des Kameraautomaten und jenem der Coppélia, dem, wie es im Untertitel des Originals hieß, "Mädchen mit den Emailleaugen". (DER STANDARD, Printausgabe, 31.1.2006)