Brüssel - Die EU-Kommission hofft nach wie vor auf ein Umdenken Polens im Streit um reduzierte Mehrwertsteuer-Sätze für arbeitsintensive Dienstleistungen. "Wir hoffen nach wie vor, dass Polen dem Kompromiss noch zustimmt", sagte die Sprecherin des für Steuern zuständigen EU-Kommissars Laszlo Kovacs am Dienstag in Brüssel. Sollte Polen bis heute Nacht nicht umschwenken, werde die EU-Kommission die Mitgliedstaaten auffordern, die Mehrwertsteuersätze auf Normalniveau anzuheben.

Polen habe noch bis heute Abend Zeit, seine ablehnende Position zu ändern, so die Sprecherin auf die von der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft festgesetzten Nachfrist. Finanzminister Karl-Heinz Grasser hatte zuvor in Berlin einen Kompromissvorschlag in den nächsten Tagen in Aussicht gestellt. Aus Sicht der EU-Kommission ist die letzte Deadline der Präsidentschaft, wonach Polen bis Dienstag Mitternacht dem Kompromiss zustimmen muss, aber nach wie vor aufrecht.

Intensive Verhandlungen

Kommissar Kovacs habe in den vergangenen Wochen intensive Verhandlungen geführt. In einem Brief habe er erst am Vortag noch einmal klar gemacht, "dass alle Mitgliedstaaten - Polen eingeschlossen - gewinnen, wenn es einen Kompromiss gibt, und alle - auch Polen - verlieren, wenn es keinen Kompromiss gibt".

Durch den Kompromiss könne Polen zumindest im sozialen Wohnbau und im Bereich der Renovierung ihre reduzierten Wohnbau-Mehrwertsteuersätze über 2007 hinaus aufrecht erhalten. Gebe es keine Einigung, sei ab 2008 auch das nicht mehr möglich. Außerdem erhalte Polen durch den Kompromiss die Möglichkeit, in neuen Bereichen ebenfalls reduzierte Mehrwertsteuersätze einzuführen - etwa in der Fernwärme, die für die polnische Bevölkerung "sicherlich auch ein wichtiger Bereich" sei, so die Kommissions-Sprecherin.

Kein Aufschnüren

Dass der Kompromiss für Polen noch einmal aufgeschnürt werden könnte, glaubt man in der EU-Kommission nicht. Die Vereinbarung, die mittlerweile von 24 der 25 EU-Staaten akzeptiert werde, liege am Tisch. "Wir wissen, wie schwer es war, einen Kompromiss zu finden, der eine solch breite Zustimmung findet", betonte die Sprecherin.

Kovacs wird am Mittwoch seine Kommissionskollegen informieren, ob die Verlängerung der Ausnahmeregelung für reduzierte Mehrwertsteuersätze bis 2010 angenommen ist oder nicht. Bleibt Polen bei seinem Veto, wird die Kommission die Mitgliedstaaten zur Wiederanhebung der reduzierten Mehrwertsteuersätze auffordern. Kommen die Mitgliedstaaten "in einem angemessen Zeitraum" dieser Aufforderung nicht nach, wäre die Kommission dann gezwungen, Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, bekräftigten die Brüsseler Behörden am Dienstag.

Im Streit um reduzierte Mehrwertsteuersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen in der EU wollte der österreichische EU-Ratsvorsitz nach der Ablehnung durch Polen noch einmal einen Vermittlungsanlauf unternehmen. Die Situation sei ernst. Die Blockade durch Polen sei "für Europa nicht akzeptabel", erklärte ein Sprecher von Finanzminister Karl-Heinz Grasser am Dienstag.

Man werde "die Situation eingehend analysieren und versuchen, im weiteren Dialog mit Polen und den anderen EU-Mitgliedsstaaten doch noch eine Lösung zu finden", so der Sprecher. Die genaue Vorgehensweise soll noch im Laufe des Tages festgelegt werden. Die Gespräche würden aber "intensiv fortgeführt".

Neuer Vorschlag in den nächsten Tagen

Finanzminister Grasser selbst erklärte unterdessen laut Agenturberichten bei einem Besuch in Berlin, Österreich werde in den nächsten Tagen einen neuen Vorschlag unterbreiten. Man werde als EU-Ratspräsidentschaft alles tun, um doch noch einen Kompromiss zu ermöglichen und Mehrwertsteuererhöhungen in einer Reihe von Mitgliedsländern abzuwenden.

Die Steuer-Sonderbestimmung aus dem Jahr 1999, die den Mitgliedstaaten für bestimmte arbeitsintensive Dienstleistungen wie Wohnungsrenovierungen oder Frisiersalons reduzierte Mehrwertsteuersätze ermöglichte, war Ende vergangenen Jahres ausgelaufen. Österreich hat als Kompromiss vorgeschlagen, die Ausnahmebestimmungen bis Ende 2010 zu verlängern. Polen ist als mittlerweile einziges Land dagegen, weil es zusätzliche Ausnahmen für Neubauwohnungen verlangt.

Negative Auswirkungen

Kommt es auf Grund der Blockade Polens zu keiner Einigung, müssten neun Mitgliedstaaten ihre reduzierten Mehrwertsteuersätze anheben. Dadurch würden sich "negative Auswirkungen für über 200 Millionen Menschen ergeben", betonte man im Finanzministerium in Wien. Die Haltung Polens sei deshalb "nicht nachvollziehbar". "Es geht um europäisches Gedankengut und um Solidarität", so der Grasser-Sprecher. (APA)