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Foto: Archiv
Volltext liegt auch auf der Straße. Der Verkauf durch Kolporteure scheint durch das Format und Papier einer Tageszeitung nahe liegend. Was nur wenigen anderen Printmedien gelingt, schafft Volltext durch das von Rainer Dempf entworfene schlichte, einprägsame Design: Als habe man es gestern gesehen, erinnert man sich an das erste Cover: Paul Auster. Und an das zweite, auf dem Michel Houellebecq bleich ins Nichts seines Spiegelbildes starrte… Die schlichte Beschreibung des Blattinhalts: Zeitung für Literatur. Macht man mit dem Bestsellerautor Paul Auster auf, gibt man ein Statement ab: Volltext ist als Massenmedium konzipiert, das Literatur in einem breit gefächerten Spektrum zum Thema hat. Da drängt sich die Frage auf, ob es nicht schon viel zu viele Zeitschriften mit Paul Auster am Cover gibt. Andererseits reagiert der Literaturmedienreflex: Gibt es nicht schon genug, das ohnehin keiner liest?

Volltext unterscheidet sich von anderen Literaturmedien nicht nur durch Format, Hochglanzlosigkeit und dem niedrigen Preis (2,50 Euro). Nicht Portraits und Besprechungen stehen im Vordergrund, sondern der Literatur selbst wird durch Auszügen aus Neuerscheinungen, Vorabdrucken und Originalbeiträgen Raum gegeben. Parallel dazu kann man sich auf der Homepage über die neuesten Literatur-Nachrichten informieren sowie im open space Texte veröffentlichen. Den bei manchen LesernInnen lange verpönten, mittlerweile aber salonfähigen, Genres Krimi und Phantastik wurde zu Beginn noch viel Text gegeben, bis man herausfand, dass diese Themen die Leserschaft dann doch weniger interessierten. Auch Paul Auster wird so schnell nicht mehr das Titelblatt zieren. Am Cover der aktuellen Ausgabe raucht Paul Nizon in schwarzen Sonnenbrillen.

Volltext ist intellektueller geworden

Volltext ist intellektueller geworden. In einer Zeit, in der die Medien sich immer mehr durch alles über dasselbe annähern, schreibt Volltext gegen den Strom und hat gerade damit Erfolg. Sogar lange Diskussionen und Interviews werden von der Leserschaft überraschenderweise goutiert. Volltext finanziert sich hauptsächlich durch Anzeigen; die seit dem Start offizielle Auflage von 50.000 Stück wird weiter gehalten; vertrieben wird nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und der Schweiz, wobei sich die Ausgaben in den jeweiligen Ländern teils unterscheiden.

Weniger Betrieb, mehr Literatur ist ein Credo der von Thomas Keul herausgegebenen Zeitung. Dass sich Betrieb und Literatur schwer trennen lassen, merkt man daran, dass dem alljährlich stattfindenden Bachmannpreis jeweils viel Platz eingeräumt wird. Damit sichert man sich auch en gros-Abnehmer. Viele derer, die in Volltext schreiben, beherrschen auch sonst den heimischen Soziolekt über die Literatur. Inhaltlich ist Volltext nicht revolutionär. Unverlangt eingesendete Manuskripte sind aber willkommen.

Nahe dran sein an der Literatur

In der 22. Ausgabe (Dezember 05/Jänner 06) wird man der Literatur und dem Betrieb insofern gerecht, als man die Siegertexte zweier Literaturwettbewerbe abdruckt: Simon Wints „Unter uns“, Gewinner des letzten FM4-Literaturwettbewerbs Wortlaut, und "Die rechte Braut" von Olga Flor, die den Otto-Stoessl-Preis 2004 abräumte. Als Einleitung zu Flor dient die Laudatio von Daniela Strigl, Mitglied der Jury des Bachmann-Kampflesens. Die Verleihung des Otto-Stoessl-Preises fand bereits im Jänner vorigen Jahres statt, und wenn Andreas Meier in seiner Kolumne Neulich über den Herbst schreibt, merkt man, dass sich Volltext auch dadurch von anderen Medien unterscheidet, als dass Aktualität nicht unbedingt ein Kriterium für Beiträge zu sein scheint. Das spricht für die Literatur, von der man gerne annehmen würde, dass sie zeitlos ist, ein Text für immer und ewig gültig.

Thomas Keul, selbst überrascht davon, wie gut es läuft, ist davon überzeugt, dass die Zeitschrift in ihrem 3 1/2 jährigen Bestehen tendenziell besser geworden sei, ausgewogener, runder. Eines der Erfolgsgeheimnisse mag sein, dass Volltext einem das Gefühl gibt, nahe dran zu sein, an der Literatur, und an denen, die diese machen, eine Art Wohnzimmer mit Anschluss an die große Welt. (DER STANDARD; Printausgabe, 10.2.2006)