Foto: Fleisch

Frischfleisch im Hochglanzpapier Magazinmacher schreiben über andere Zeitschriften abseits des Mainstreams: Die Literaturzeitung "Volltext" porträtiert mit "Fleisch" anspruchsvolle Couchtischlektüre.

Höher hätte sich das im Winter 2004 erstmals erschienene Kulturmagazin die Latte nicht legen können: Fleisch, das kulturinteressierte Menschen von Anfang 20 bis Ende 30 im Visier hat, ist vor allem darauf aus, seine Leser zu überraschen. "Wir wollen nicht, dass man schon im Vorhinein absehen kann, wer im nächsten Heft drin sein wird, nur weil er ein neues Buch oder einen neuen Film draußen hat", sagt Gründer und Chefredakteur Markus Huber.

Bei der Entwicklung sei es ihm vor allem darum gegangen, ein Magazin in die Welt zu setzen, das er selbst gern lesen würde. Als internationale Inspirationsquellen für sein Magazin nennt Huber etwa Dummy und – "fast etwas peinlich, das zuzugeben – Tempo".

Ungewöhnlicher Zugang

Das redaktionelle Konzept ist flexibel, man sucht immer wieder neu den ungewöhnlichen Zugang und will Leute in Zusammenhängen zeigen, in denen man sie sonst nicht kennt. Ein Anspruch, der sich in der ersten Ausgabe eingelöst fand mit einer Barbara Albert, die nicht als Filmemacherin auftrat, sondern als Lyrikerin, und mit einer langen Reportage über einen von der Depression gebrochenen Alfred Hrdlicka. Der so oft über Fleisch redete, bis das Magazin so hieß.

Nicht nur inhaltlich stellt Huber die höchsten Ansprüche an seine Zeitschrift. Die Herstellung von Fleisch ist aufwändig, gedruckt wird auf Hochglanzpapier, und jeder Ausgabe ist eine eigens produzierte CD beigeklebt.

Helden aus der zweiten Reihe

Leser zu überraschen, muss es gelegentlich scheitern, zumal bei einer Klientel, der hier unterstellt sei, dass zu ihrem Selbstbild gehört, von nichts überrascht werden zu können, weil sie eh schon alles kennt. Natürlich ist bei 150 Seiten Fleisch auch einiges dabei, das einem hinten vorbeigeht. Das ist unvermeidlich und macht nichts, solange das Magazin mit den wesentlichen Geschichten punktet. Das ist Fleisch bislang mit jeder Ausgabe gelungen und mit der aktuellen mehr als mit den vorangegangenen.

Am stärksten überzeugt Fleisch, wenn es Leute ins Licht rückt, die man in anderen Medien nicht oder nicht mehr findet, Helden aus der zweiten Reihe und gefallene Stars wie den französischen Schriftsteller Denis Belloc.

"Bohr weiter, Kumpel"

Der ehemalige Dieb und Strichjunge Belloc war Ende der Achtzigerjahre mit seinem Roman Neon eine große Nummer im Pariser Kulturleben, ein Liebling von Marguerite Duras, der als Nachfolger von Jean Genet herumgereicht wurde. Heute, nach Jahren der Heroinsucht und seinem Verstummen als Schriftsteller, ist er fast so weit unten wie vor seinem großen Erfolg: keine Wohnung, kein Verlag, kein Einkommen, dafür Schulden beim Finanzamt.

Eine Achterbahnfahrt, die dem 79-jährigen Gerhard Heinz erspart geblieben ist. Heinz könnte schon deshalb nie ein Star werden, weil keiner zugeben würde, dass er seine Werke kennt – obwohl Millionen sie gehört haben. Fleisch nennt ihn "Johann Strauß der Sexfilm-Musik", dank Soundtracks für Softpornos wie "Bohr weiter, Kumpel", "Die Mutzenbacherin – auch Fummeln will gelernt sein" und Liedzeilen wie "die Vögelbrunner Feuerwehr, die hat die längsten Schläuche".

Beide Herren finden sich in Fleisch Nummer 3/Winter 2006 porträtiert, die überraschender Weise Dieter Chmelar auf dem Cover hat. (DER STANDARD; Printausgabe, 16.2.2006)