Katharina Tiwald:
Schnitte - Portraits - Fremde

€ 15,-/172 Seiten. lex liszt 12, Oberwart 2006

Buchcover: lex liszt 12
Der südburgenländische Verlag lex liszt 12, das sind der Umtrieb Horst Horvath und sein Team, hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Art Perle in der Muschel der heimischen Verlagslandschaft gemausert. Vor zwei Jahren hat man uns dort den Erzähler Clemens Berger beschert. Der Rom Stefan Horvath hat uns die zigeunerische Geschichtenwelt eröffnet, in die auch ORF-Redakteur Erich Schneller im unlängst erschienenen, sehr ans Herz zu legenden Interviewband Zigeuner. Roma. Menschen. den geneigten Leser entführen will. Und dann ist Peter Wagner - der als Herausgeber genauso spannend ist wie als Schreiber - auf ein Mädchen aus Großpetersdorf / Nagyszentmihály / Veliki Petrstof / Simeha gestoßen, von der der Rezensent im ersten Eindruck und zu seiner eigenen Schande sagen muss, gesagt zu haben: "Die ist wie die Jelinek. Nur besser."

Nein: Katharina Tiwald ist nicht wie die Jelinek. Sie ist definitiv besser. Weil sie die als männlich daherkommende weibliche Verkrümmung ins Repertoire ihrer Ironie genommen hat. "Die Jelinek" ist ein Stilmittel, das die 27-Jährige beherrscht wie andere Ausdrucksformen auch. Was unter anderem dazu geführt hat, dass Fritz Ostermayer im FM4-Sumpf eine Stunde lang gekniet ist vor ihr, weil sie eben nicht nur am Sinn, sondern auch an den Sinnen der Worte entlangschreibt. "Trottel blöder", sagt sie, während sie, erstaunlicherweise, durch "den Großmutterbezirk" der Wiener Josefstadt streicht auf der Suche nach jemandem zum Vögeln, "ist sicher ein Trottel blöder."

Das war jetzt ordentlich Jelinek. Aber ein paar Seiten weiter ist sie schon in Leningrad, in St. Petersburg also, und zwar "Mit Julia, schwanger". Seit Karl May hat es niemanden gegeben, der einem fremde Orte so illuster ins Hirn zaubern kann. Und sei es zum Beispiel nur durch den Satz: "Und als in ,Komm süßer Tod' der Piefke sein ,Ach, jetzt halten Se mal den Mund, Sie alte Schastrommel' ausstößt, ist die Stimme mit dem Übersetzen längst fertig, und im Saal sind nur vereinzelte Lacher zu hören."

Ganz ist noch nicht heraußen, was die Katharina Tiwald einmal sein will. Klar scheint nur: Sie wird keine sein, wie eine andere einmal gewesen ist. Denn dazu ist sie jetzt, weit vor ihrem Dreißiger, schon zu eigenständig. Und wortgewaltig sowieso. Eine, die so offensichtlich Spaß hat am Herumfabulieren, dass es auch für den Leser eine helle Freude ist, weil sich ihm die deutsche Sprache auf einmal in einem Gewand zeigt, das sie bisher noch nicht angehabt hat: Was mehr kann man von Literatur erwarten?

Dabei ist das von lex liszt 12 in den literarischen Himmel geworfene Buch bloß ein erster Eindruck. Es versammelt Geschichten, die der Tiwald halt so von der Hand gegangen sind und über die der Titel "Schnitte - Porträts - Fremde" einen nur schwach gespannten Bogen legt. Einen aber, der sich nicht scheut, auch ins un- mittelbar Österreichische zu zielen. Die Geschichte "Schienen", die eine erbaulich lebendige Katharina die Große mit einer Straßenbahn durch Leningrad führt, ist einem gewissen Ernst Strasser, Österreichs Innenminister einst, gewidmet: ",Ach! Was sagt Er mir's nicht gleich! Es handelt sich um Scheiße. - Und in diesem Moment biegt die Straßenbahn im rötlichen Abendlicht durch die goldenen Tore von Peterhof, die noch einmal die untergehende Sonne einfangen, bevor sie ins Meer taucht."

Sprachwissenschaft, sagt der Verlag, habe Katharina Tiwald studiert, und Russisch. Aber das kann nicht stimmen. Es muss umgekehrt gewesen sein: Die Sprache hat die Tiwald studiert, und das Russische wahrscheinlich auch. Immerhin, so sagt sie: "Ich schreibe aus meinem Auge."

Unlängst hatte erst ein Theaterstück von ihr - dorf.interrupted - Premiere, demnächst erscheint ein Tiwald'sches Reisebuch in einem deutschen Verlag. Und wenn etwas an dieser Sache faul ist, dann das: Talente wie die Katharina Tiwald nicht halten zu können. Aber als Österreicher hat man sich damit abgefunden: Die Verachtung gilt den Orchideen. Das hätte Katharina Tiwald natürlich wissen müssen. Warum hat sie also nicht Betriebswirtschaft studiert? (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2006)