Furcht vor der Vogelgrippe ist für Alfred Pritz im Grunde normal - als Antrieb, Lösungen zu ersinnen.

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Gegen übertriebene Furcht rät er zur Wahrheit: Experten sollten zugeben, was sie über H5N1 nicht wüssten, sagte er zu Irene Brickner.

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STANDARD: Herr Pritz, haben Sie Angst vor der Vogelgrippe?

Pritz: Angst nicht, aber ein mulmiges Gefühl - und zwar vor dem, was da vielleicht noch kommen mag, vor dem Unbekannten.

STANDARD: Viele Menschen lässt die Vogelgrippe völlig kalt, während andere vor lauter H5N1-Furcht keine Hühner mehr essen oder ihre Katze schief anschauen. Woher diese derart gegensätzlichen Reaktionen?

Pritz: Das liegt an der individuellen Bewertung der Fakten, soweit man diese zum derzeitigen Zeitpunkt überhaupt kennt. Außerdem fürchten sich manche Menschen aus unbewussten Gründen eben mehr vor Ereignissen wie der Vogelgrippe als andere - man denke etwa an Personen mit hypochondrischen Zügen.

STANDARD: Hypochondrie ist eher zeitlos, aber passen die Vogelgrippeängste in den Trend der aktuellen großen Befürchtungen und so genannten Modeängste?

Pritz: Sicher, und zwar die Globalisierungsangst, die Furcht vor den Folgen der zunehmenden, weltweiten Mobilität. Die Zugvögel, die in Verdacht stehen, H5N1 zu verbreiten, sind da ein sehr gutes Symbol. Sie kennen keine Grenzen und keine Nation, sie sind echte Internationalisten.

STANDARD: Spielt bei den Zugvögeln vielleicht auch die Angst vor den unheimlichen Fremden eine Rolle?

Pritz: Das glaube ich weniger. Enten aus Sibirien, die irgendwo in der Ostsee an der Vogelgrippe erkranken und sterben, sind keine Ausländer. Außerdem - und das möchte ich betonen - ist nicht jede Art von Furcht neurotisch. Angst vor einer realen Gefahr hat auch die äußerst wichtige Funktion, Kräfte zu mobilisieren, um Lösungen zu finden - das gilt auch in der derzeitigen Situation.

STANDARD: Die Lösungen gegen H5N1 liegen - wie man in betroffenen Staaten beobachten kann - in Schutzzonen, Seuchenteppichen und dem Auftreten von Menschen in Ganzkörperschutzanzügen. Machen solche massiven Maßnahmen nicht ebenfalls Angst?

Pritz: Sie schauen oft apokalyptisch aus, aber neben ihrem praktischen Wert dienen sie auch der Angstabwehr - und zwar bei jenen, die die Maßnahmen anordnen und durchführen ebenso wie bei den Zuschauern. Es ist beruhigend, wenn jemand in einer Angst besetzten Situation etwas unternimmt.

STANDARD: Experten streichen heraus, dass von H5N1 für Menschen in unseren Breiten wenig Gefahr ausgeht, viele Medien übernehmen diese Argumentation. Warum wird die Furcht dadurch nicht wirklich geringer?

Pritz: Weil das Betonen, dass kein Anlass zur Angst besteht, bei vielen Menschen genau den gegenteiligen Effekt hat. Sie glauben einer solchen Nachricht nicht, vor allem, wenn diese immer wieder, also gebetsmühlenartig wiederholt wird.

STANDARD: Andere Medien hingegen verbreiten eher Angst ...

Pritz: Was wollen Sie? Nicht nur Sex, auch Furcht und Angst sind eben starke Verkaufsargumente.

STANDARD: ...doch wie kann man dann überhaupt zielführend über die Vogelgrippe berichterstatten?

Pritz: Man sollte bei der Wahrheit bleiben - und die kann manchmal auch lauten, dass einiges noch überhaupt nicht klar ist. Die Wahrheit ist immer besser als falsche Versprechungen. Letztere lassen nach ihrem Platzen nämlich nur Misstrauen zurück. Ich denke da etwa an die 'Neuigkeit' von vergangenem Herbst, wonach antivirale Mittel wie Tamiflu prophylaktisch gegen die Vogelgrippe wirken sollten - inzwischen wurden hier Zweifel angemeldet. Das hat viele Menschen verunsichert. (Irene Brickner, DER STANDARD - Printausgabe, 3. März 2006)