"Musik hat nichts mit Spontaneität und Sexualität zu tun. Wenn Sie spontan und ein gutes sexuelles Erlebnis haben wollen, gehen Sie ins Badezimmer! Dort können Sie beides miteinander verbinden. Ganz allein." Oder auch: "Fußball ist ein Fest der Fruchtbarkeit. Elf Spermien wollen ins Ei. Ich empfinde Mitleid mit dem Tormann!" Interviews mit Björk verlaufen ähnlich wie ihre sonstigen Auftritte in der Öffentlichkeit. Sie verlaufen dramatisch. Und selbstverständlich total "spontan". Scheinbar chaotisch, unorganisiert. Exzentrisch! Immerhin ist der Mythos ihrer Unberechenbarkeit, ihrer "kindlichen" Spontaneität, ihrer im Minutentakt eingelassenen Wechselbäder zwischen manischem Outrieren und mürrischer Verstocktheit längst zu einer berechenbaren Größe im Pop-Geschäft geworden: "Ich gelte als Sonderling. Das gefällt mir ganz gut. Es macht mich interessanter als ich in Wirklichkeit bin." Der 34-jährige Pop-Star Björk Gudmundsdottir aus Reykjavik startete seine Karriere bereits im Alter von elf Jahren. Damals nahm die Sängerin mit der Kampfhöhe Einmeterfünfzig ein in Island sensationell gut verkauftes Album mit Kinderliedern auf. Ein Genre, dem sie bis heute treu geblieben ist. Denn der außerhalb jeder Metrik liegende, schneidend scharfe Singsang, der Journalisten gern zu plakativen Formulierungen wie "Sirene aus dem Eis", "nordische Elfe" oder "Stimme des Nordlichts" treibt, sollte auch ihre späteren Arbeiten kennzeichnen. Nach Erfahrungen mit der Musik-Performance-Gruppe Kukl und Erfolgen mit der New-Wave-Band Sugarcubes in den 80er-Jahren startete Björk ihre Solokarriere 1993 mit "Debut" - und unternahm einen künstlerischen Quantensprung. Immerhin befreite sie sich damit, und infolge auch mit den millionenfach verkauften Alben "Post" und "Homogenic", von tradierten Pop-Formaten und experimentierte als klassisch ausgebildete Musikerin mit den jeweils jüngsten Errungenschaften von Techno und neuer elektronischer Musik. Nicht jedoch, ohne den zeitgenössischen Sounds ihre eigene, unverkennbare Note aufzuprägen. Dass Björk jetzt den Preis als beste Darstellerin in Lars von Triers Musical Dancer in the Dark bekommen hat, für dessen avantgardistische Musik sie auch verantwortlich zeichnet, ist Zufall - und soll einmalig bleiben. Während der Dreharbeiten sind hier wohl in der Person von Björk und ihrem Regisseur zwei äußerst "bemerkenswerte" Persönlichkeiten aneinander geraten. Stur, von ihrer eigenen Vision besessen - und hochgradig neurotisch. Björk, alleinerziehende Mutter eines 14-jährigen Sohnes, will jedenfalls nie wieder einen Film drehen. Ganz spontan gesagt. Aber auch Spontaneität kennt die Wiederholung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 5. 2000)