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Vitali Klitschko kandidiert für das Bürgermeisteramt in Kiew

Foto: APA/EPA/Dolzhenko
Standard: Welche politischen Ziele haben Sie sich gesetzt?

Klitschko: Nach dem Ende meiner Sportkarriere möchte ich nicht passiv von der Seite beobachten, dass vielleicht jemand mit unserem Land experimentiert. Durch meine guten Kontakte in Wirtschaft und Politik sowie durch meine große Lebenserfahrung in den Ländern Westeuropas und den USA kenne ich die Prinzipien, nach denen sich die westliche Gesellschaft entwickelt, sehr gut. Jetzt kann ich sie bei uns realisieren.

Standard: Es kursiert die Vermutung, Ihr Parteibündnis Pora-PRP sei als radikales "oranges Projekt" gegründet worden, um Stimmen von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko abzuziehen...

Klitschko: Wir sind kein "Projekt" und wir nehmen auch niemandem etwas weg. Der bürgerliche Block Pora-PRP ist eine reale politische Kraft. Wir wollen uns weiter aktiv auf jene Ziele hin bewegen, für die die ukrainische Gesellschaft vor einem Jahr gestimmt hat.

Standard:Ist die - von Ihnen befürwortete - Wiedervereinigung des orangen Lagers realistisch, nachdem sich dieses im letzten Jahr als ineffizient herausgestellt hat?

Klitschko: Ich halte eine "orange Koalition" für möglich, allerdings mit Kompromissen und wenn die Ambitionen in den Hintergrund gedrängt werden. Mit den Anhängern des Expremiers Janukowitsch (unterlegener Präsidentschaftskandidat) allerdings kann es keinen Kompromiss geben, stattdessen muss man sie für die eigene Seite gewinnen. Eine Konterrevolution des blauen Lagers (von Janukowitsch) aber kann es nicht geben, dafür hat sich zu viel geändert.

Standard: Was waren die Fehler Präsident Juschtschenkos und überhaupt des orangen Lagers im letzten Jahr?

Klitschko: Die Leute wollen große Veränderungen. Aber man muss verstehen, dass der Widerstand jener Leute, die den Staat aus Gewohnheit als große Geldtasche sehen, mächtig ist. Ich spreche von der Korruption. Genau sie setzt der Reputation der Ukraine und der Möglichkeit von Reformen am schmerzhaftesten zu.

Standard: Worin unterscheidet sich Ihr Wahlbündnis wesentlich von allen anderen?

Klitschko: Das Allerwichtigste ist, dass es in unseren Reihen keine Oligarchen gibt, Leute, die sich selbst durch Korruptionsskandale diskreditiert haben und nach den Gesetzen der alten Staatsmacht leben. Auch bin ich nicht in das jetzige Korruptionssystem der Kiewer Stadtführung, das zu einer Fülle von Problemen geführt hat, verwickelt. Sie zu schildern, würde viele Seiten Ihrer verehrten Zeitung füllen. Mit uns hat Kiew alle Voraussetzungen dafür, hinsichtlich der Lebensqualität beispielhaft in Zentral- und Osteuropa zu werden.

Standard: Was ist unter Ihren neuen Prinzipien für die Politik zu verstehen?

Klitschko: In erster Linie muss man die Prinzipien der transparenten Entscheidungsfindung einführen. Wenn wir das nicht tun, können wir die Korruption nicht ausmerzen.

Standard: Eine Annäherung an Russland wollen Sie offenbar nicht. Bleibt die Integration in den Westen. Finden Sie es bedauerlich, dass die Türkei eine EU-Beitrittsperspektive erhielt, die Ukraine nicht?

Klitschko: Wir werden immer Nachbar Russlands sein. Und von uns selbst wird abhängen, wie unsere Beziehungen ausschauen. Die Ukraine hat für sich ihr strategisches Ziel definiert, sie muss Mitglied der EU werden. Die Tatsache, dass die Türkei diese Perspektive erhalten hat, bestätigt die Offenheit der EU allen Ländern gegenüber, die den Kopenhagener Kriterien entsprechen. In unserem Land ist es üblich, Zeichen und Andeutungen der EU-Kommissare aufzufangen und anlässlich deren skeptischer Erklärungen betrübt zu sein, aber es ist nicht üblich, den gewählten Weg zu beschreiten und wenigstens das Beitrittsansuchen einzureichen. Ich muss eingestehen, dass die Ukraine nicht ausreichend beharrlich und konsequent daran arbeitet, bei den EU-Prinzipien in Wirtschaft und Politik voranzukommen.

Standard: Sie meinten einmal: Angst ist niemals unmännlich. Was fürchten Sie heute?

Klitschko: Ich habe nichts zu fürchten. Aber wie alle wünsche ich mir, dass meine Kinder und meine Nächsten gesund sind. Alles Übrige ist Sache unsere Verstandes, unserer Hände, unserer Energie. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.3.2006)