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Protestierende Studenten in Paris

Foto: Reuters/Platiau
"Schau, dort brennt ein Auto!", ruft die Frau am Lenker ihrem Beifahrer zu und weicht in letzter Sekunde einem Aschenhaufen auf dem Boulevard Saint-Michel aus. Das ältere Ehepaar starrt aus den geöffneten Wagenfenstern und realisiert entgeistert, während das Auto über Glassplitter knirscht: Sie sind in die Pariser Studentenrevolte gegen Frankreichs neues Kündigungsrecht geraten.

Zur Linken liegen ein paar Fahrzeuge auf den Dächern, zur Rechten qualmt Rauch aus einer abgebrannten Buchhandlung; vor der Fassade der Sorbonne-Universität räumen Einsatzpolizisten in dieser Nacht zu Freitag ein paar Feuerlöscher zur Seite, mit denen radikale Studenten sie beworfen hatten. Die Regierung hat offensichtlich Weisung herausgegeben, den Dingen ihren Lauf zu lassen, um die Stimmung nicht zusätzlich aufzuheizen. Das führt zu einem eher anarchischen Laissez-faire auf jenen Boulevards, wo im Mai '68 die Freiheit ausgerufen worden war.

Staunende Touristen

Statt das Quartier Latin hermetisch abzuriegeln, wie das üblicherweise der Fall gewesen wäre, tritt die Polizei so wenig wie möglich in Erscheinung. Touristen und Nachtschwärmer kommen auch abseits der Sorbonne aus dem Staunen nicht mehr heraus und springen zur Seite, wenn plötzlich ein Grüppchen vermummter Studenten mit roten Fahnen anstürmt, im Vorbeirennen schnell ein Schaufenster einschlägt und mit wildem Geschrei weiterzieht.

187 Festnahmen, 46 Polizisten und eine unbekannte Zahl von Demonstranten verletzt, lautete die Bilanz am frühen Freitagmorgen. Heute Samstag gehen die Proteste weiter. Premierminister Dominique de Villepin hat die Durchhalteparole ausgegeben. Die Studenten auch.

Zwei Drittel der Franzosen, so sagt eine am Freitag veröffentlichte Umfrage, sind mittlerweile gegen den "Contrat Première Embauche" (CEP), also gegen das neue Kündigungsrecht, da es Unternehmen erlaubt, Berufseinsteiger bis zu 26 Jahren während einer zweijährigen Probezeit ohne Angabe von Gründen auf die Straße zu setzen.

Völliger Rückzug

Entscheidend wird nun die Beteiligung an den landesweiten Demonstrationen von Samstag sein. Bisherige Protesttage versammelten in bis zu 200 Städten und Orten bisher insgesamt einige hunderttausend Teilnehmer. Wenn heute Samstag mehr als eine Million CPE-Gegner auf die Straße gehen, sieht es für Villepin schlecht aus. Der rechtsbürgerliche Premier hat zwar am Donnerstag erklärt, der CPE sei "korrigierbar"; die Gewerkschaften, Studenten und Linksparteien verlangen aber weiterhin einen völligen Rückzug als Vorbedingung für Verhandlungen. Präsident Chirac möge seine Regierung "zur Vernunft" bringen, sagen sie.