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Massenhafter Unmut: So wie hier in Marseille gingen am Samstag in vielen französischen Städten die Studenten auf die Straße.

Foto: APA/EPA/Laurenson/Asa-Pictures
Der Druck auf die Regierung in Paris hat am Wochenende zugenommen. Während die Gewerkschaften die völlige Rücknahme des neuen Kündigungsrechts verlangen, ist Premier Villepin nur zu einer "bedeutsamen Geste" bereit.

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"Die Hand ist ausgestreckt, die Tür ist offen", meinte Regierungssprecher Jean-François Copé am Sonntag an die Adresse von Studenten, Gewerkschaftern und Linkspolitikern, die gegen den "Contrat Première Embauche" (CPE) demonstriert hatten. 1,5 Millionen Menschen waren nach eigenen Angaben, 500.000 nach Angaben der Polizei am Samstag in ganz Frankreich gegen den CPE auf die Straße gegangen.

So weit die Schätzungen auch auseinander liegen: Es waren auf jeden Fall mehr Demonstranten als bei einem früheren Protesttag Anfang März. Wieder kam es im Anschluss an die Kundgebungen in Paris, in Lyon und Rennes zu gewalttätigen Ausschreitungen: Vermummte Randalierer lieferten sich mit der CRS-Einsatzpolizei stundenlange Gefechte; 34 Polizisten und 18 Jugendliche wurden verletzt.

Die Regierung gerät durch diese neue Machtdemonstration weiter in Bedrängnis. Villepin hüllte sich in Schweigen und ließ seinen Regierungssprecher vorerst nur ankündigen, der Premier werde heute, Montag, Unternehmenschefs und Studenten zu Gesprächen empfangen. Dabei kann es sich allerdings nur um Vertreter rechts stehender Uni-Verbände handeln, die für den CPE sind. Die Konföderation der Studentenverbände verlangt weiterhin einen völligen Rückzug der umstrittenen Arbeitsreform, die es Firmen erlaubt, Berufseinsteiger bis zu 26 Jahren während einer zweijährigen Probezeit ohne Angabe von Gründen auf die Straße zu stellen.

"Wie ein Brandstifter"

Ins gleiche Horn stießen die Linksopposition und die Gewerkschaften. Der prominente Sprecher der Trotzkistenpartei LCR, Olivier Besancenot, frohlockte nach der jüngsten Umfrage, die eine Zweidrittelmehrheit gegen den CPE ergab: "Jetzt ist nicht mehr die Regierung in der Mehrheit, sondern die Straße." Jean-Claude Mailly von der Gewerkschaft "Force Ouvrière" (FO) warf dem rechtsbürgerlichen Premier vor, er verhalte sich "wie ein Brandstifter, der im Tal Feuer gelegt hat und dann auf die Anhöhe steigt, um nichts zu unternehmen" - eine ironische Anspielung auf die Feldherren-Talente des Napoleon-Verehrers Villepin.

Der Vorsteher der Gewerkschaft CGT, Bernard Thibault, droht ultimativ mit einem eintägigen Generalstreik, falls die Regierung nicht einlenkt. Ein landesweiter Streik könne schon am Montag beschlossen werden, wenn Villepin den CPE nicht zurückziehe.

Sozialistenchef François Hollande gab sich nach außen hin versöhnlich: Die Regierung solle das Kündigungsrecht bis nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen von 2007 auf Eis legen. Villepin, der in gut einem Jahr selbst für das Amt des Staatschef antreten möchte, weiß aber auch, dass dies dem Eingeständnis einer Niederlage gleichkäme. Er ließ einzig verlauten, er sei zu seiner "bedeutsamen Geste" an die CPE-Gegner bereit.

Einen Ausweg weiß niemand. Villepin wollte die Proteste wohl "verfaulen" lassen, wie der technische Ausdruck für solche Sozialkonflikt-Situation heißt. Der zunehmende Widerstand verunmöglicht dieses Vorhaben allerdings. Gefragt ist nun wohl Präsident Jacques Chirac. Er hatte sich bisher klar hinter seinen Premier gestellt, muss nun aber seinen Kurs wohl langsam überdenken. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.03.2006)