Der "Scharfmacher" der ÖVP, Reinhold Lopatka, ist überzeugt, dass "ein Politiker überspitzt formulieren muss". Über seinen Ruf wundert er sich trotzdem.

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ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka war mit Renate Graber "Bei Schüssels" im Kabarett. Wie die Realität ist, wie er selbst schmutzige Tricks mit seiner christlichen Nächstenliebe rechtfertigt und mit wem er im Parlament gern Fußball schaut und Knackwurst isst, erzählte er danach.

Im Wiener Theater im Rabenhof spielen "Maschek" derzeit das Kasperltheater für Erwachsene "Bei Schüssels". Man schaut vom Karikaturisten Gerhard Haderer entworfenen Figuren rund um Wolfgang Schüssel und seiner Frau Christa ("Gigi") zu: Andreas Khol lebt vorübergehend bei ihnen am WC, ein tollpatschiger Alfred Gusenbauer kommt zum Spionieren, Gast Vladimir Putin entpuppt sich als willfährig, wenn er wie ein Hund gestreichelt wird. Weitere Protagonisten: Karl-Heinz Grasser, Silvio Berlusconi, Angela Merkel, die Schüssel für die polnische Putzfrau hält. "Gigi" darf einen Tag Kanzlerin sein, wirft als solche Reinhold Lopatka hinaus und tritt Tirol an Italien ab.

STANDARD: Erkennen Sie die handelnden Personen wieder?
Lopatka: Die Figuren sind gelungen, mit Ausnahme der Gigi. Sie hat weder mit der Art, noch mit dem Aussehen Christa Schüssels etwas gemeinsam. Kanzlerin würde sie nie sein wollen, sie ist eine weltoffene, moderne Frau. Von den Gesichtern her sind der Kanzler, Khol, Botox-Berlusconi gut getroffen, Angela Merkel war zu derb. Und Grasser kommt dümmlich rüber, das ist er nicht.

STANDARD: Was halten Sie von der Moral der Geschicht'?
Lopatka: Hat's eine gegeben?

STANDARD: Sicher, aber da waren Sie schon eingenickt. Alle Probleme lösen sich, als der Kanzler zu schweigen beginnt.
Lopatka: Ich sehe die Moral nicht. Wissen Sie, was mich am meisten gestört hat? Die Darstellung von Gusenbauer, die war so tief, er hat sogar Fäkalausdrücke wie Brunzen verwendet. Dass er zum Schluss dem Kanzler auch noch Geld entwendet, nur um sich ein paar Flaschen guten Weins zu kaufen...

STANDARD: Das war bös?
Lopatka: Für einen Arbeiterführer schon.

STANDARD: Und Sie selbst? Es dauert keine drei Minuten, und schon ruft Lopatka an und fordert den Kanzler zu einer üblen Kampagne auf. Mir schien, Sie haben nur gequält gelächelt.
Lopatka: Ich bitte Sie, ich kenne diese Situation von unseren Faschingsgilden, das hat doch nichts mit mir zu tun. Schwer enttäuscht war ich nur über die erste Amtshandlung der Kanzlerin Gigi: Sie hat mich entlassen. Das ist gemein, das würde sie nie tun.

STANDARD: Hätte Schüssel gelacht? Wie geht's denn in Wirklichkeit zu bei ihm?
Lopatka: Ich habe dienstlich mit dem Kanzler zu tun, nicht privat. An ein paar Stellen hätte er gelacht. Vielleicht.

STANDARD: Sie selbst gehen gern ins Theater – tut es Ihnen nicht leid, dass Österreichs Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek eine massive Gegnerin Ihrer Regierung ist?
Lopatka: Sicher tut mir das leid. Aber Künstler und Politiker leben in verschiedenen Welten, Künstlern wie Jelinek geht es um grundsätzliche Überzeugungen. Politiker dagegen müssen Kompromisse schließen.

STANDARD: Einmal nennt Gigi ihren Mann "Zwerg", weil er eine Familienaufstellung, eine Therapieform, ablehnt. Haben Sie als fürs Grobe zuständiger Generalsekretär Therapeuten?
Lopatka: Nein. Meine Schwester ist Psychologin, meine Schwägerin Therapeutin, ich wäre versorgt. Meine Schwester sagt ab und zu: "Dir kann's jetzt nicht gut gehen", aber ich brauche keine Therapie, mir geht es nicht schlecht.

STANDARD: Ist das nicht schon ein Symptom?
Lopatka: Sehr nett. Schlecht ging's mir, als ich erstmals ins Hohe Haus kam: Nur künstliches Licht, tagelang von früh bis Mitternacht im Plenarsaal, das hat sich aufs Gemüt geschlagen. Das ist aber vorbei, ich habe jetzt viele persönliche Beziehungen zu Abgeordneten. Da geht man dann abends ins Büro des Fritz Neugebauer, Beamten-Gewerkschaftschef, sieht ein Fußballmatch, plaudert bei einer Knackwurst und einem Bier.

STANDARD: Den Rest laufen Sie sich von der Seele?
Lopatka: Jedenfalls laufe ich jedes Jahr vier Marathons, bei hundert höre ich auf. Mit 65 Jahren hab ich's geschafft.

STANDARD: Was dann?
Lopatka: Halbmarathon.

STANDARD: Sie verdanken Ihre Karriere Kreisky'scher Bildungspolitik. Ihre Mutter war Hausfrau, ihr Vater Müller, alle drei Kinder haben studiert. Unter Ihrer Koalition wäre das wegen Studienverschärfungen und Gebühren unmöglich.
Lopatka: Das stimmt so nicht. Ich musste arbeiten, vom ersten Tag meines Studiums an.

STANDARD: Heute müssten Sie noch viel mehr arbeiten, allein wegen der Studiengebühren.
Lopatka: Ich hätte die wahrscheinlich, wie derzeit jeder fünfte Student, ersetzt bekommen. Mein Sohn, Medizinstudent, arbeitet auch nebenbei. Die Regierung hat's nicht verschlechtert, am Finanziellen scheitert niemand. Möglicherweise ist es härter geworden, muss man unter erschwerten Bedingungen studieren.

STANDARD: Sie haben neben Jus auch Theologie studiert. Wollten Sie Priester werden?
Lopatka: Das war nie mein Ziel, aber ich habe es auch nicht ausgeschlossen.

STANDARD: Vom Theologen zum Politiker, da haben Sie sich aber um 180 Grad gedreht.
Lopatka: Eine Spur von Missionierungsgedanken schadet keinem Politiker, man darf nur kein Eiferer werden. Niemand soll glauben, dass er die ganze Wahrheit hat.

STANDARD: Als Generalsekretär täuschen Sie gut darüber hinweg. Warum eigentlich?
Lopatka: Ich täusche niemanden. Aufgabe eines Generalsekretärs ist es, die Partei auf der richtigen, in unserem Fall der christlich-sozialen, Linie zu halten. Zu schauen, dass die Erneuerungskraft nicht erlischt, neue Ideen und neue Leute dazukommen.

STANDARD: Neue Leute, da fällt mir nochmal "Bei Schüssels" ein. Kanzlerin Gigi tauscht mit Berlusconi Tirol gegen Lampedusa. Dort stranden die Flüchtlinge aus Afrika – wie sieht das ein Christlich-Sozialer wie Sie, der Sprecher einer Amnesty-Gruppe und viel in Afrika unterwegs war?
Lopatka: Das ist schrecklich. Die EU hat Afrika und die Existenzbedrohung dort ausgeblendet, das ist ein Fehler. Andererseits hat Europa 20 Millionen Arbeitslose . . .

STANDARD: ...die sich für die EU perfekt als Ausrede eignen.
Lopatka: Auch. Es sollte neben der europäischen Integration gelingen, die Not etwa in Afrika zu mildern. Der Schlüssel dazu sind auch dort demokratische Strukturen.

STANDARD: ÖVP-Landesrat Wolfgang Sobotka wirft der ÖVP "soziale Kälte" vor.
Lopatka: Ich spüre keine soziale Kälte. Die Sozialquote unter Schüssel ist gestiegen.

STANDARD: Die Steuer- und Abgabenquote auch.
Lopatka: Ist zuletzt gesunken.

STANDARD: Von einem Rekordhöchststand kommend.
Lopatka: Ja, weil Sozialleistungen eben etwas kosten.

STANDARD: Lassen Sie mich noch mal zu Ihnen kommen. Sie sind der, der in der ÖVP fürs Dirty Campaigning, schmutzige Tricks zuständig ist. Sie reden von "politischen Faulpelzen", "Tarnkappenträgern", nennen Ihr SP-Pendant Nobert Darabos "Suderbertl", gelten Fraktionskollegen als "Kampfredner". Wie passt das zu Ihrem Glauben, christlich-sozialen Denken, Nächstenliebe?
Lopatka: Ich bin davon überzeugt, dass man als Politiker überzeichnen und überspitzt formulieren muss, sonst bleibt man in der Öffentlichkeit unbemerkt: Schlagzeilen sind kurz. Den "Suderbertl" hätte ich mir aber schon sparen können. Doch man darf dem politischen Gegner das vorhalten, was stimmt: Bei den Präsidentenwahlen habe ich Heinz Fischer vorgeworfen, er trage eine "Tarnkappe", weil er so getan hat, als wäre er nicht 25 Jahre lang Vize-SPÖ-Vorsitzender gewesen.

STANDARD: Wie finden Sie ihn als Präsidenten?
Lopatka: Er hat die Rolle seines Lebens gefunden. Was mich nicht überrascht, weil er schon als Nationalratspräsident so war: staatstragend und konkrete politische Aussagen vermeidend.

STANDARD: Im Gegensatz zu Andreas Khol? Wie hat Ihnen der im Kabarett gefallen, er lief da mit dem Plüsch-Maskottchen der Winterspiele von Innsbruck herum, seinem "Manderl".
Lopatka: Das Manderl war das Beste, und wie Khol vor seinem Auszug aus der Schüssel-Wohnung sagt: "Manderl, s'isch Zeit!" Dass er am Klo wohnen muss, ist bösartig. Zurück ins Leben: Khol ist stärker im Tagespolitischen verhaftet als es Fischer war.

STANDARD: Jetzt haben Sie mich erfolgreich davon abgelenkt, zu eruieren, wie Sie Ihren Job mit Ihrem Gewissen vereinbaren.
Lopatka: Ich bin kein Scharfmacher, es wundert mich, dass ich so gesehen werde. Ich mache meine Arbeit. Punkt.

STANDARD: Ein warmherziger Katholik lügt nicht, schimpft nicht, verletzt und verspottet niemanden. Sie tun's aber.
Lopatka: Kennen Sie einen Menschen der noch nie gelogen hat? Ich muss nichts Unanständiges, nichts Unehrenhaftes machen. Aber weil Ihnen das so wichtig erscheint: Wir Katholiken haben notfalls einen großen Vorteil: Wir können ja beichten gehen.

STANDARD: Zehnmal Rosenkranz für einmal "Jammer-Dorli", wie Sie SPÖ-Frau Doris Bures genannt haben?
Lopatka: Sie sind unernst. So etwas beichte ich nie. Übrigens wird in der Wirtschaft genauso gelogen wie in der Politik. Dort geht es darum, dass man sich gegen die Konkurrenz durchsetzt. Wie, ist vielen egal. Und der Aktionär will, dass die Kurse steigen und Gewinn gemacht wird, wie das geschieht, ist ihm egal.

STANDARD: Interessanter Ansatz für den Vertreter einer Wirtschaftspartei. War das jetzt ein Blick zurück auf den jungen Lopatka, der als Linkskathole, als Herz-Jesu-Kommunist galt?
Lopatka: Ich wollte immer und will noch immer Gerechtigkeit herstellen. Darum ist mein politisches Credo "Für eine gerechtere Zukunft".

STANDARD: Sie sind oft in den USA, da holen Sie Ideen dafür?
Lopatka: Sie müssen nicht zynisch sein, Sie wissen, dass sich alle dort Know-how fürs Wahlkämpfen holen. Unsere Demokratie hat sicher mehr Qualität als die der USA, und Guantánamo und die Ideen dahinter sind entsetzlich. Letztes Mal waren übrigens Gusenbauer, Darabos und ich gemeinsam in Boston, bei den Demokraten. Wir haben im selben Hotel gewohnt.

STANDARD: Und ein Glas guten Rotweins an der Bar getrunken.
Lopatka: Nein, und ich kenne mich auch gar nicht aus beim Wein. Für mich gibt es nur Rot oder Weiß. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.03.2006)