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Bio-Lebensmittel erleben einen großen Trend, doch der Gedanke an gesundes Essen kann auch zum Zwang werden.

Foto: apa/dpa/Frank Leonhardt
Einkaufen im Bioladen, Nährwertberechnungen, Zusammenstellen eines peniblen Speiseplans - in dem Glauben sich gesund zu ernähren, verbringen an Orthorexia Nervosa erkrankte Menschen viel Zeit damit, sich Gedanken über das Essen zu machen. Orthorexie ist ein anderer Name für die Essstörung, die Menschen betrifft, die sich bewusst gesund ernähren wollen. Mit dem Wunsch gesünder zu leben fängt es meist an und kann damit enden, dass die Sorge um die Ernährung zum Hauptinhalt im Leben der Betroffenen wird.

Zwang zur Qualität

Essstörungen wie Bulimie, Magersucht oder Fettsucht sind ein inzwischen bekanntes Phänomen, doch Orthorexia Nervosa ist eine neuere Krankheit, die heute vermehrt auftritt. "Während bei der Anorexia nervosa und Bulimia nervosa vorwiegend die Quantität des Essens im Vordergrund steht, konzentriert sich bei der Orthorexia nervosa alles auf die Qualität. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass der Nahrung ein übertriebener Platz im Leben eingeräumt wird", erklärt Ingrid Kiefer vom Institut für Sozialmedizin in Wien. Dazu bedarf es eines enormen Maßes an Selbstdisziplin. Laut einer Studie des Instituts für Ernährungswissenschaften der römischen Universität La Sapienza hängt das zwanghafte Einkaufs- und Essverhalten auch mit einer ängstlich-zwanghaften Persönlichkeit zusammen: Von 404 zu ihrem Essverhalten befragten Personen wurden rund sieben Prozent als orthorektisch eingestuft. Von diesen zeigte die Mehrzahl in angstbesetzten Situationen oder in glücklichen Momenten ein unkontrollierbares Bedürfnis zu essen, das mit einem Gefühl der Schuld einhergeht.

"Richtiger Appetit"

Der Begriff setzt sich aus Griechisch "orthos" (richtig) und "orexis" (Appetit) zusammen. Der US-amerikanische Arzt Dr. Steven Bratman hat die Orthorexie 1997 zum ersten Mal beschrieben und den Begriff geprägt. Mit 10 Fragen wie zum Beispiel "Verbringen Sie mehr als drei Stunden täglich damit über gesundes Essen nachzudenken?", "Fühlen Sie sich schuldig, wenn Sie von Ihrer Diät abweichen?" oder "Sind Sie in letzter Zeit strenger mit sich geworden?" hat er einen Selbsttest entwickelt.

Besessen von "gut" und "böse"

"Charakteristisch ist eine Art Besessenheit, die Nahrungsmittel in "gut" und "schlecht", "gesund" und "ungesund" einzuteilen. Der gesundheitliche Wert der Speisen steht in der Wichtigkeit vor dem Essvergnügen. Eine religiösähnliche Vernarrtheit verbietet den Genuss", weiß Ingrid Kiefer. OrthorektikerInnen wenden viel Zeit auf um beispielsweise Nährstoffe, Vitamine oder Mineraliengehalt ihrer Mahlzeiten zu berechnen. Sie fühlen sich aufgrund ihrer extremen Selbstdisziplin "Normalessern" überlegen, die nicht so viel "Kontrolle" über ihr Essverhalten haben. Mangelerscheinungen können die Folge sein, denn Orthorexie kann zu Untergewicht führen. Oft klagen Betroffene über Schlaf- und Konzentrationsstörungen und eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Auf sozialer Ebene führt die Essstörung zur Isolation, weil gemeinsame Essen mit Freunden oder Familie für die Betroffenen unmöglich werden und das zieht auch psychosoziale Konsequenzen nach sich.

Therapie

"Um zukünftig das Risiko für die Entstehung einer Besessenheit nach gesundem Essen zu minimieren, bedarf es einer professionellen Ernährungsberatung und –therapie zur Prävention ernährungsassoziierter Krankheiten", sagt Ingrid Kiefer. Diese arbeite interdisziplinär, kooperiere mit anderen Beratungs- und Bildungsträgern und trenne zwischen gesicherten wissenschaftlichen Standards und persönlichen Meinungen. Dies alles müsse in den Empfehlungen an den Patienten berücksichtigt werden, aber ebenso dessen sensorische Präferenz, seine Gewohnheiten, seinen kulturellen und persönlichen Hintergrund, seine Arbeits- und Lebenssituation und seine Kenntnisse und Fähigkeiten. (mat)