Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

War das vergangene Jahr voll und ganz auf den Lauch des Open Enterprise Server ausgerichtet, so greift Novell heuer bei seiner derzeit in Salt Lake City stattfindenden Hausmesse Brainshare aus dem vollen: Die gesamte Enterprise-Linux-Produktlinie soll in den nächsten Monaten mit neuen Versionen bedacht werden: Basierend auf der gemeinsamen SUSE Linux Enterprise 10-Plattform soll in den nächsten Monaten vom Server bis zum Desktop neue Angebot auf den Markt kommen.

Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Virtuelles

Als zentrale neue Technologien für den SUSE Linux Enterprise Server 10 strich Technikchef Jeff Jaffe vor allem die Virtualisierungstechnik XEN und die Clustering-Möglichkeiten hervor. Diese beiden kombiniert seien quasi die "Killeranwendung" für den neuen SLES, vor allem da man der erste Anbieter sei, der eine entsprechende Lösung anbieten könne. Wie wichtig diese Themen dem Unternehmen seien, zeige sich auch dadurch, dass man zahlreiche EntwicklerInnen an diesem Projekt arbeiten habe. Laut Jaffe bietet Novell viermal soviele EntwicklerInnen für das Projekt auf, als irgendeiner der anderen Linux-Anbieter, mehr stelle nur mehr XENSource selbst.

Schutzfunktionen

Viel gibt das Unternehmen auch auf seine Sicherheitslösung AppArmor, die vor kurzem als Open Source freigegeben wurde, und die in alle Enterprise-Produkte der neuen Novell-Produktgeneration integriert wird. Damit lassen sich Programme einzeln schützen, über einen eigenen Regelsatz kann verhindert werden, dass selbst bisher unbekannte Sicherheitslücken ausgenutzt werden können. Einen entscheidenden Vorteil gegenüber der konkurrierende SELinux-Technologie sieht man darin, dass AppArmor wesentlich einfacher zu benützen sei und somit auch mehr Sicherheit biete, da die Erfahrung zeigt, dass zu komplizierte Mechanismen in der Realität nur selten dann auch zum Einsatz kommen.

Grafik: Novell

Desktop

Auch wenn das Produkt offiziell bereits vor kurzem im Rahmen der CeBIT präsentiert wurde, immer wieder als gleichberechtigtes Kernprodukt neben den Server-Angeboten wurde auch der SUSE Linux Enterprise Desktop heraus gestrichen. Der Unterschied zu früheren Jahren ist deutlich wahrnehmbar: Als vor zwei Jahren auf Novells Hausmesse Brainshare der Novell Linux Desktop 9 präsentierte wurde, war man beim Softwarehersteller noch deutlich zurückhaltend im Anpreisen des Produkts. Desktop-Entwicklungschef Nat Friedman hatte die damalige Situation vor kurzem dem WebStandard folgendermaßen beschrieben: "Sie haben einfach gesagt: Ok Nat, wenn du das machen magst, mach es". Eine wirklich große Unterstützung habe es für das Produkt aber nicht gegeben. Mittlerweile scheint man von den Erfolgsaussichten des Linux-Desktops – und vor allem des NLD-Nachfolgers SUSE Linux Enterprise Desktop, wesentlich überzeugter zu sein.

Erstklassig

Jaffe ließ in seiner Ansprache keinen Zweifel daran, dass man den Desktop-Bereich bei Novell sehr ernst nehme. Klar gebe es zwar noch einige Power-User die aus unterschiedlichsten Gründen auf Windows nicht verzichten könnten, für die breite Masse der Office-ArbeiterInnen sei der Linux-Desktop nun aber "so weit". Konkrete Partner für Hardwarekooperation – wie sie Desktop-Entwicklungschef Nat Friedman unlängst im Interview mit dem WebStandard angekündigt hatte – könne man derzeit noch nicht nennen, so die Nummer 2 des Unternehmens, Ron Hovsepian, in der an die Keynote anschließende Pressekonferenz, immerhin befinde sich das Produkt ja auch erst in der Beta-Phase.

Grafik: Novell

Allerdings sei man derzeit in einer ganzen Reihe von Gesprächen mit Hardware-Partnern, exemplarisch nannte er dabei Dell. Keine große Überraschung, ist das Unternehmen doch auch prominent auf der Brainshare vertreten. Zusätzlich haben die beiden Unternehmen auch gerade eine neue Partnerschaft angekündigt, das Novell ZENWorks 7 Linux Management in der "Dell Edition" soll das zentrale Management von Dells PowerEdge-Server-Reihe deutlich vereinfachen. Auch von den Erfolgsaussichten des SLED zeigt man sich überzeugt, schon derzeit würden sich rund 120 Firmen am bisher geschlossenen Beta-Test beteiligen. Als entscheidenden Katalysator für den eigenen Erfolg sieht man auch gerade die Konkurrenz von Windows Vista: Viele Firmen würden vor die Wahl gestellt werden, ob sie auf Vista upgraden wollen, oder ob es aufgrund der zahlreiche Änderungen gegenüber Windows XP nicht gleich mehr Sinn macht auf Linux umzusteigen.

OES

Von der nächsten Generation des Open Enterprise Servers – der neben Linux auch auf Netware aufsetzen kann – gab es zwar wenig zu sehen, immerhin wurde aber ein erster Zeitplan für die nächste Version bekannt gegeben: Mitte 2007 soll der nächste Generationswechsel anstehen, zusätzlich zu den Fähigkeiten des SLES 10 – auf dem der OES basiert – will man sich bis dorthin vor allem Themen wie der verbesserten Zusammenarbeit von Novell eDirectory und Microsofts ActiveDirectory kümmern, auch die 64-Bit-Unterstützung soll bei "Cypress" – so der Codename der nächsten Release eine wichtige Rolle spielen

Netware bleibt

Apropos Netware: Recht augenscheinlich waren auch die Bemühungen von Novell sich um die BestandskundInnen zu kümmern, das Signal dabei: Auch wer derzeit noch nicht auf Linux umsteigen will, wird weiter von Novell bedient, Firmenchef Jack Messman kündigte an, dass das eigene Betriebssystem bis mindestens 2015 unterstützt werden soll, wenn es Bedarf gibt auch darüber hinaus

Workgroup

Abseits dessen gibt es ein gänzlich neues Produkt im Unternehmens-Protfolio zu vermelden: Die Novell Open Workgroup Suite vereint als Paket die Linux-Variante des Open Enterprise Servers, Groupwise, die Management-Suite ZENWorks sowie den SUSE Linux Enterprise Desktop.

Foto: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Groupwise

Ein Produkt, das in den letzten Jahren etwas neben den beiden Hauptthemen Linux und Identity untergegangen ist, spielt offenbar wieder eine größere Rolle: Groupwise sei ein "Eckstein für das eigene Unternehmen". Als nächsten Schritt der Entwicklung will man die Exchange/Notes-Alternative verstärkt an die Anforderungen von mobilen Anwendungen anpassen. Mittels des Groupwise Mobile Servers, der mit Hilfe der Technologie von Intellisync entstanden ist, werden 400 verschiedene mobile Devices unterstützt. Kleiner Schönheitsfehler: Derzeit läuft das Produkt nur auf dem Windows Server von Microsoft, eine SLES-Version befindet sich allerdings in Entwicklung.

Konferenz

Mit mehr als 6.000 BesucherInnen und 800 Kunden aus 50 Ländern ist die heurige Brainshare übrigens die größte Konferenz des Softwareunternehmens in den letzten Jahren. Ein Teil davon ist aber wohl auch dem Umstand zu "verdanken", dass man sich dieses Jahr dazu entschlossen hat, lediglich einen "globalen" Event abzuhalten, die bisher immer im Herbst abgehaltene Veranstaltung entfällt hingegen. Als Grund dafür gibt man an, dass man sich auf einen zentralen Event konzentrieren will, um diesen noch besser zu gestalten, Kostengründe werden bei dem Unternehmen, das vor einigen Monaten mehrere hundert MitarbeiterInnen abgebaut hat, wohl auch eine gewisse Rolle gespielt haben. Für den europäischen Markt – dessen Bedeutung man aufgrund der höheren Linux-Adoption immer wieder hervor streicht – soll es künftig eine Reihe von lokalen Veranstaltungen geben.

Foto: Novell

Stolpernd

Bleibt abzuwarten, ob Novell all diese Vorhaben auch entsprechend umsetzen kann, Jeff Jaffe gibt sich jedenfalls kämpferisch: Man wolle der "führende Innovator" im Softwarebereich werden, mit den Vorteilen von Open Source – und vor allem der Zusammenarbeit über Firmengrenzen hinweg – sieht man sich auf bestem Weg dahin. Soll dies Wirklichkeit werden, sollte man aber in Zukunft auf Pannen wie bei der diesjährigen Brainshare-Keynote lieber verzichten: Die Veranstaltung wurde aufgrund eines Missverständnisses verfrüht abgebrochen, die extra als "begeisternder Schluss" geplante Präsentation des SUSE Linux Enterprise Desktops durch Nat Friedman fand so anstatt vor der eben noch bis auf den letzten Sitzplatz gefüllten Halle nur vor einer kleinen Schar an JournalistInnen und AnalystInnen statt.(apo)