"Thomas Trenkler, STANDARD-Redakteur in Sachen Restitution, sieht keine Veranlassung, sich Daniela Strigls Lesart des Schiedsgerichtsurteils ("Adele revisited - Wider den blinden Eifer der Empörten" , STANDARD 25. 2.) in der Causa Bloch-Bauer anzuschließen. - Eine Erwiderung.


Meine Urlaubslektüre hatte es in sich: Manche Journalisten, schrieb Daniela Strigl in Anspielung auf die Haltung des STANDARD in der Causa Bloch-Bauer bzw. auf diesbezügliche Berichte von Hubertus Czernin und mir, hätten "unbezahlte PR-Arbeit für die Sache der klagenden Anwälte" geleistet, vom "Qualitätsjournalismus" könne man aber erwarten, dass er sich "um Objektivität zumindest bemüht".

Ja, es stimmt: Czernin hat den Fall publik gemacht, und zwar im STANDARD vom 21. Februar 1998. In der Folge befasste sich diese Zeitung immer wieder mit dem Thema. Am 13. Juli 1999, nachdem der Restitutionsbeirat eine Rückgabe der fünf Klimt-Bilder abgelehnt hatte, verfasste ich, unterstützt von Anwälten, eine Analyse, die zum Schluss kam, dass die Kunstwerke sehr wohl zurückgegeben werden müssten - selbst unter der Annahme, dass die Österreichische Galerie aufgrund des Testamentes von Adele ein Anrecht auf diese hatte. PR-Arbeit war dies aber keine: Czernin wie auch mir erschien das Unrecht augenscheinlich.

Nein, es stimmt nicht, dass der Rückgabebeirat, wie Strigl behauptet, "in über 5.000 Fällen dafür plädiert hat, Kunstwerke an ihre früheren Besitzer zurückzugeben". Sondern: Österreich hat laut Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bloß etwas mehr als 5000 Kunstgegenstände zurückgegeben. Die Zahl der behandelten Fälle ist vergleichsweise gering.

Zudem handelt es sich beim Restitutionsgesetz keineswegs, wie Strigl meint, um "eine kühne, weltweit einzigartige Einrichtung". Im Frühjahr 1998 antwortete Bildungsministerin Elisabeth Gehrer auf meine Frage, ob es nicht hoch an der Zeit wäre, abgepresste Kunstwerke zurückzugeben: Sie könne doch nicht Staatseigentum verschenken. Auch der damalige SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima reagierte abweisend: Er könne der Ministerin doch keine Weisung erteilen.

Was also tun? Das Liberale Forum erklärte sich zum Glück bereit, einen Gesetzesantrag einzubringen, dem zufolge alle "unrechtmäßig oder aufgrund illegaler Praktiken in Bundesbesitz" gelangten Kunstobjekte zu restituieren wären. Die SP/VP-Regierung ließ sich ein halbes Jahr Zeit, bis sie den Antrag behandelte. Aus gutem Grund: Unter Zugzwang gebracht, erarbeitete sie ein eigenes Restitutionsgesetz. Und dieses wurde beschlossen. Im gleichen Atemzug konnte der Antrag der Liberalen abgelehnt werden.

Doch das Restitutionsgesetz der Regierung ist viel, viel einschränkender formuliert. Die Fragen waren damals - und sie sind es heute: Warum nur ein Ermächtigungsgesetz und kein verpflichtendes? Warum ein Beirat, in dem zwar die Finanzprokuratur als Rechtsanwalt der Republik sitzt, aber kein Vertreter der Opfer? Und warum die Einschränkung, dass nur Kunstwerke zurückgegeben werden, die Gegenstand von Rückstellungen waren und im Zuge eines Verfahrens nach den Bestimmungen des Ausfuhrverbots unentgeltlich in den Besitz des Bundes übergegangen sind?

Eine Mutmaßung: Es war bekannt, dass die fünf Klimt-Bilder offiziell nie Gegenstand eines Rückstellungsverfahrens waren, dass also weder Ferdinand Bloch-Bauer noch seine Erben in der Lage waren, die Ausfuhr zu beantragen. Der Beirat konnte daher seine ablehnende Haltung mit einem Formalismus begründen - obwohl Gehrer betont hatte, in allen "moralisch bedenklichen Fällen" zu restituieren.

Das Schiedsgericht habe, meint Strigl, ein "wohlbegründetes Fehlurteil" gefällt. Nein, ihm ist vielmehr eine Interpretation geglückt, die bisher nie in Erwägung gezogen worden war: Es kam zur Auffassung, dass das Gesetz doch auf den Fall Bloch-Bauer anwendbar ist. Denn auch Objekte, deren Rückstellung in "vorauseilendem Gehorsam" gar nicht verlangt wurde, können restituiert werden.

Diese "weite Interpretation" ärgert Strigl: Natürlich könne der Gesetzgeber der Auffassung sein, auch Kunstwerke, auf die bis vor Kurzem kein Anspruch erhoben worden ist, sollten restituierbar sein, aber dann müsse er das Gesetz ändern, es könne nicht einfach "umgedichtet werden".

Aber: Weder die große Koalition noch die gegenwärtige Regierung verspürten irgendein Interesse an einer Novelle, obwohl immer wieder auf die Schwachstellen hingewiesen wurde. Es ist zudem kaum vorstellbar, dass die Regierung dem kürzlich eingebrachten Antrag der Grünen auf eine Novelle, Folge leistet. Die weite Interpretation ist daher von enormer Bedeutung auch für Fälle, die derzeit vielleicht noch nicht bekannt sind. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, Printausgabe vom 18./19.3.2006)