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Ein Sisyphos-Job, unheroisch, Zentimeter für Zentimeter: Minen-räumer, hier an der indisch-pakistanischen Grenze.

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Derzeit bei UN-Abrüstungskonferenzen aktiv: Vera Bohle.

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DER STANDARD: Wie viel Naivität bedarf es, Minenräumerin zu werden?

Vera Bohle: Klar, ich wollte was verändern. Ich glaube aber, dass ich ein Maximum getan habe, um mich vorzubereiten auf das, was mich erwartet. Nach der Schule wollte ich ja zuerst entweder in die Medien oder in die Entwicklungshilfe gehen. Es hat mich auf meinen Reisen - etwa als Berichterstatterin und Cutterin für den ZDF, nach Mosambik oder Somalia - immer gestört, dass ich mit meinem Studium der Theater-, Film-Fernsehwissenschaft, Politik, Geografie zwar eine Menge Theorie gelernt hatte. Aber was die Menschen vor Ort brauchten ...

DER STANDARD: Sie hätten aber auch einen anderen Job wählen können.

Bohle: Die Idee zur Minenräumung kam über einen Artikel im Rahmen einer Recherche für das ZDF, dass bosnische Flüchtlinge in der Dresdner Sprengschule zu Minenräumern ausgebildet werden. Das hat mich völlig elektrisiert, abgesehen davon hatte ich, auch am Schneidetisch, schon immer einen Hang, mich Situationen über einen technischen Ansatz zu nähern.

DER STANDARD: Wie sieht denn der Alltag des so genannten humanitären Minenräumens aus?

Bohle: Mein erster Job im Kosovo war Teamleader, es ging darum kosovo-albanische Minenräumer auszubilden und selber zu räumen. Morgens fährt man zu dem Minenfeld, hat sein Equipment dabei - den Metalldetektor und eine Minensuchnadel -, man hat Holzpfähle, Flatterband, einen Hammer, sehr simple Werkzeuge, um zu markieren, wo geräumt ist und wo nicht, möglichst zentimetergenau. Normalerweise arbeiteten wir da nicht länger als eine halbe Stunde am Stück, weil es zum einen extrem heiß war, zum anderen die Konzentration sehr schnell nachlässt.

Zuerst muss man sich klar machen, dass man einfach mit jedem Schritt, den man unbedacht macht, sein Leben riskiert, dass man völlig banal verstümmelt werden und damit den Rest seines Lebens damit klarzukommen haben könnte. Man robbt auf Knien Zentimeter für Zentimeter voran und sucht die Nadel im Heuhaufen. Wenn da in einem Areal gekämpft oder gelagert wurde, kann man sich vorstellen, wie viel Metall allein von einer rostigen Konservenbüchse dageblieben ist. Und das alles so aus dem Boden zu fieseln, da kommt man sich nicht sehr heldenhaft vor.

DER STANDARD:Wer ist schuld, wenn eine Mine explodiert und ein Minenräumer stirbt?

Bohle: Als ich in Afghanistan gearbeitet habe für die Vereinten Nationen, da war ich auch für Unfalluntersuchungen zuständig. Viele Unfälle waren tödlich, weil die medizinische Versorgung sehr schlecht war und auch die Transportwege nicht funktionierten. Da steht man dann vor einem Krater, wo ein Kollege ums Leben gekommen ist, und wühlt herum und findet Einzelteile von einer Antipersonen-Tretmine, die ihm ins Gesicht explodiert sein muss - da packt einen schon die Wut. Ich war da so resigniert, denn ich erkannte: Keiner wird die Verantwortung dafür übernehmen.

DER STANDARD: Sie haben "Mein Leben als Minenräumerin" niedergeschrieben, das nun auch als Fischer-Taschenbuch erschienen ist. War das ein Weg, traumatische Erfahrungen loszuwerden?

Bohle: Ja, bis ich in Afghanistan 2002 beschloss, vorerst einmal mit dem Minenräumen aufzuhören, hatte ich wie alle meine Kollegen keinerlei psychologische Betreuung. Ich glaube, es wird einfach nicht erkannt, wie wichtig das ist. Das hat aber zum Teil Langzeitfolgen. Man unterschätzt, was sich da an Eindrücken und Einflüssen aufsummiert und einen belastet. Gerade Männer, die es nicht gewohnt sind, darüber zu reden, was in ihnen vorgeht. Und beim Militär - meine Kollegen sind ja fast alle Ex-Militärs - ist das Thema Angst und Gefühle eher ein Tabuthema.

DER STANDARD: Stündlich kommen auf der Welt zwei Menschen durch Minen ums Leben. Sie sitzen jetzt an UNO-Verhandlungstischen und versuchen, Diplomaten und Militärs klar zu machen, dass Streubomben ebenso geächtet gehören wie Antifahrzeug oder Antipersonen-Minen. Wie geht es Ihnen dabei?

Bohle: Es ist schwierig, damit umzugehen. Die meisten der dort diskutierenden Menschen sind kaum jemals in einem Krisengebiet gewesen. Sie haben keine Vorstellung davon, was diese Waffen tatsächlich anrichten.

Dabei predige ich gar keinen übertriebenen Idealismus, im Gegenteil: Nachdem ich in diesen Krisengebieten war, hat es mich oft geärgert, wenn Menschen aus Europa in ihrem schönen, sicheren Zuhause sitzen und dann anderen, die einer direkten Bedrohung ausgesetzt sind, sagen, was sie dürfen und nicht dürfen und dabei vergessen, dass ihre eigene Sicherheit darauf aufgebaut ist, dass sie auch mit sehr brutalen militärischen Mitteln erkämpft wurde. Andererseits: Das oberste Ziel ist Frieden. Und mit welchen Mitteln man ihn herstellt, darüber gehen die Meinungen sehr auseinander.

Eigentlich hatte ich mir unter dem Begriff "Abrüstungskonferenz" vorgestellt, da säßen Menschen zusammen, die entscheiden: Welche Waffensysteme schaffen wir ab? - Wie es ja auch bei Antipersonen-Minen durch die Ottawa-Konventionen gelungen ist. Im Moment ist es aber eher so, dass ich mit Munitionsdesignern recht eigenwillige Lösungen suche. Bei den Streubomben etwa geht es gar nicht darum, diese Munition abzuschaffen, sondern die Blindgängerrate zu verringern.

DER STANDARD: Also 20 bis 30 Prozent der Streubomben, die abgeworfen werden, detonieren nicht, wenn sie aufschlagen. Und die bedrohen die Zivilbevölkerung.

Bohle:Ja, und jetzt sagt man: Die Blindgängerrate soll nicht höher als ein Prozent sein. Streubomben: Das sind große Bomben, aus denen viele kleine rauskommen, die sich über eine Fläche erstrecken und dadurch militärisch sehr sinnvoll sind - z. B. gegen Panzer, weil die Chance, das Ziel zu treffen, weit höher ist.

Aber man kann sich vorstellen, wie viele von diesen kleinen Bomben, die auch noch nicht einmal gefährlich aussehen, Blindgänger sind. Die sollten eigentlich beim Aufkommen explodieren, aus irgendeinem Grund hat der Zünder nicht funktioniert, und nun ist so ein "Bomblet" in einem völlig unberechenbaren Zustand. Das kann völlig stabil sein, das kann ich vielleicht wegtragen, es kann aber auch sein, dass ich daneben stehe und der Wind ergreift den Fallschirm und es explodiert. Die Unfälle mit "Bomblets" enden meist tödlich.

DER STANDARD: Und bei der Abrüstungskonferenz wird jetzt so argumentiert, dass diese Effizienz gesteigert werden muss?

Bohle: Ja, und das geht mir natürlich völlig quer im Kopf, dass ausgerechnet ich mich da hinsetzen und mir überlegen muss, wie man Munitionssysteme verbessern kann. Da sagen etwa Militärs: Antipersonen-Minen sind in unseren heutigen Doktrinen nicht mehr so wichtig, wir verzichten darauf, denn wir haben schon das nächste weiterentwickelte Modell, und das setzen wir ein. Aber da kommt natürlich auch ein Konflikt auf zwischen reicheren und ärmeren Ländern. Minen sind ja die "Waffen des armen Mannes", billig und ungemein effizient. Und dann sagen die ärmeren Länder: Ihr wollt uns die simplen Modelle nur verbieten, damit wir bei euch die teureren Modelle kaufen!

Es ist eine Gratwanderung, inwieweit man sich dann auf solche Debatten einlässt.

DER STANDARD: Wenn man sich vorstellt, 150 Millionen Minen liegen noch; die günstigste Mine kostet etwa 3 bis 5 Euro. Eine Mine zu entsorgen kostet das X-fache. Wo ist hier überhaupt das Erfolgserlebnis? Fühlt man sich nicht wie Sisyphos?

Bohle: Man darf nicht auf den ganzen Berg schauen, da muss man verzweifeln. Die Erfolgserlebnisse liegen eindeutig im Kleinen. Wenn ein kosovo-albanischer Bauer mit seiner Familie das eigene Feld wieder benutzen kann und dadurch die Familie ernähren kann, dann interessiert es ihn nicht, ob in Kambodscha noch eine Million Minen liegen. In diesen Bereichen kann man aber sichtbare Erfolge erzielen, und das motiviert mich sehr. (DER STANDARD, Print, 23.3.2006)