Xiane Kangela ist Mitglied des Vorstands des Antirassismus- Vereins "ZARA - Zivilcourage und Antirassismus­arbeit" und Chefredakteurin des Rassismus-Berichts 2005.

Foto: derStandard.at/Sonja Fercher
derStandard.at: Nun kommt der Rassismus-Report schon zum sechsten Mal heraus. Lassen sich in dieser Zeit Entwicklungen ablesen?

Xiane Kangela: Es ist irrsinnig schwer hier eine Aussage zu treffen, denn wir können ja nur von den Fällen ausgehen, die auch bei der ZARA-Beratungsstelle gemeldet werden. Im Report wiederum findet sich nur eine Auswahl von Fällen wieder.

Jedes Jahr ist gleich, dass der Großteil der Fälle den öffentlichen Raum betrifft. Das heißt es geht um alle öffentlich zugänglichen Orte, wenn also jemand in den Park geht, die U-Bahn oder ein anderes Verkehrsmittel nimmt und es Schmierereien gibt, man Beschimpfungen ausgesetzt ist oder sogar geschlagen wird. Das ist jedes Jahr gleich, aber jedes Jahr gleich schrecklich.

Verändert hat sich, dass die Zahl der Beschmierungen - die sich zu 75 Prozent gegen AfrikanerInnen, Afro-ÖsterreicherInnen oder Menschen karibischer Herkunft richten - so hoch war wie noch nie. Im Jahr 2005 wurden bei uns 400 Fälle gemeldet, im Jahr davor waren es noch 200. Aber auch hier hängt es natürlich wieder davon ab, dass diese Beschmierungen bei uns gemeldet werden, also jemand zu ZARA kommt.

derStandard.at: Gibt es einen Fall, der Sie besonders schockiert hat?

Kangela: Besonders schockiert hat uns dieses Jahr, dass es im Bereich Wohnen einen Fall gab, der tödlich ausgegangen ist.

Aber irgendwie ist jeder Fall schrecklich. Die Thematik ist nicht neu für mich, denn ich war bereits Co-Redakteurin des Rassismus-Berichts. Dennoch erschreckt es mich jedes Mal wieder, wenn jemand zum Beispiel sein Auto kurz anhält und beschimpft wird oder vielleicht sogar krankenhausreif geschlagen wird. Aus welchem Grund? Einzig und allein, weil jemand nicht so aussieht, wie man sich "echte ÖsterreicherInnen" vorstellt.

derStandard.at: Durch die Mohammed-Karikaturen wurde die Lage von MuslimInnen ein Thema. Welche Erfahrungen hat ZARA hier gemacht? Hat sich Ihre Situation Ihres Wissens nach verschlechtert?

Kangela: Es ist ganz sicher ein Problem und es melden sich auch Betroffene bei uns. Mehrheitlich aber wenden sie sich an andere Organisationen, Angehörige des muslimischen Glaubens etwa an die Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, die bei der islamischen Glaubensgemeinschaft angesiedelt ist. Orthodoxe JüdInnen melden Beschimpfungen eher beim Forum gegen Antisemitismus, das bei der Israelitischen Kultusgemeinde angesiedelt ist. Das macht auch Sinn. ZARA ist aber froh darüber, dass diese Organisationen Kommentare für den Rassismus-Report verfasst haben.

derStandard.at: Von welchem Rassismus-Begriff geht ihr aus?

Kangela: Rassistische Diskriminierung bedeutet nach unserem Verständnis, "dass ein Mensch aufgrund seiner Hautfarbe, seiner Sprache, seines Aussehens, der Religionszugehörigkeit, Staatsbürgerschaft oder Herkunft in irgendeiner Form benachteiligt wird." Benachteiligungen können Beschimpfungen sein oder tätliche Angriffe oder Diskriminierungen bei Wohnungs- oder Arbeitssuche.

Wir gehen von einem sehr weiten Begriff aus, denn es geht nicht immer nur um AusländerInnen, MigrantInnen oder AsylwerberInnen, sondern ganz oft sind österreichische StaatsbürgerInnen betroffen - unzählige Afro-ÖsterreicherInnen oder türkische ÖsterreicherInnen.

derStandard.at: ZARA kritisiert die hohen Hürden für Opfer, zu ihrem Recht zu kommen. Gibt es dafür Beispiele?

Kangela: Wir hatten einen Fall: Eine Muslima ist mit einer Freundin in einem Geschäft und will sich einen Mantel kaufen. Ihr Baby zu weinen und als sie sich über den Kinderwagen beugt, um es beruhigen, beginnt der Verkäufer sie zu beschimpfen, weil der Mantel, den sie gerade anprobiert hat, angeblich am Boden streift.

Er schreit sie an, sie soll den Mantel sofort ausziehen und er wolle mit Ausländern sowieso kein Geschäft machen, was sie sofort tut. Als sie mit ihrer Freundin in Richtung Ausgang geht, sagt sie zu ihr: "Der Typ spinnt!" Daraufhin beginnt er sie zu schlagen, er tritt sie und schmeißt sie aus dem Geschäft.

Sie war verletzt und ist gleich zur Polizei gegangen und hat Anzeige erstattet. Dann kommt es zur Verhandlung, sie hat Angst und ist nervös nach dem Vorfall. Beim Prozess beginnen sich die beiden zu widersprechen, weil sie so nervös sind, und der Mann wird freigesprochen.

Erst auf dem zivilrechtlichen Weg wird ihr Recht gegeben. Trotzdem ist der Ausgang des Verfahrens unbefriedigend – erstens ist es noch nicht abgeschlossen und zweitens muss sie jetzt 400 Euro bezahlen, obwohl sie Recht bekommen hat.

derStandard.at: Wie kommt das zustande?

Kangela: Ihr wurde zwar ein Schadenersatz von 700 Euro zugesprochen, nur waren die Prozesskosten deutlich höher als das. Also selbst wenn man Recht bekommt, muss man sogar noch zahlen, und zwar nicht wenig, wie etwa jene 400 Euro.

derStandard.at: Der Antirassismus-Report ist natürlich keine angenehme Lektüre. Gibt es trotzdem auch etwas Positives?

Kangela: Positiv ist, dass sich mehr persönlich von Rassismus Betroffene an ZARA gewendet haben. Konkret haben sich um 20 Prozent mehr Opfer von Rassismus gemeldet. Das bedeutet auch, dass Menschen, denen Unrecht passiert, ihre Rechte einfordern und sich wehren wollen - dass sie nicht behaupten "Draußen regnet´s", wenn ihnen jemand auf den Kopf spuckt.