Selbstmedikation liegt im Trend. Allein - Man sollte spüren, wenn es tatsächlich ernst wird

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Es beginnt mit einer triefenden Nase, man fühlt sich unwohl und die erhöhte Temperatur am Fieberthermometer bestätigt es. "Mich hat’s erwischt," hört man gerade beim Wechsel von Winter auf Frühling sehr oft. Die Betroffenen meinen damit meist nicht Amors Pfeil, sondern eine tückische Erkältungskrankheit. Muss man deswegen gleich zum Arzt? Oder reicht der weniger umständliche Weg in die Apotheke?

Ältere Menschen gehen rascher zum Arzt

"Man muss nicht in jedem Fall sofort zum Arzt. Manchmal reicht es, wenn man sich ein, zwei Tage auskuriert und viel trinkt", erklärt Gertraud Rothe, Ärztin für Allgemeinmedizin in Wien. Auch Hausmittel wie Tee seien in so einem Fall sinnvoll. Mit hohem Fieber oder längerfristigem Krankheitsgefühl müsse man aber einen Arzt kontaktieren. Personen mit chronischen Erkrankungen, ältere Menschen und Kinder sollten eigentlich überhaupt nicht abwarten. Aus ihrer Praxis weiß sie, dass ältere Menschen ohnehin rasch kommen. Viele Berufstätige dagegen glaubten, sie hätten dafür keine Zeit und verschleppen einen Grippe. Menschen mit wenig Zeit greifen häufig zur Selbstmedikation. Der Weg in die Apotheke ist weniger umständlich als ein Arztbesuch und das Angebot an nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten, im Fachjargon OTC-Präparate, aus dem Englischen "over-thecounter" (über den Ladentisch), groß.

Arzneimittelflut

Rund ein Viertel der in Österreich zugelassenen Medikamente fällt unter die Gruppe der so genannten OTC-Präparate. Ariane Titz, Geschäftsführerin der Interessensgemeinschaft der österreichischen Hersteller von nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln, betont neben der Zeitersparnis auch den Wunsch nach Selbstbestimmung als Vorzüge der Selbstmedikation. Außerdem müsse so nicht jeder, der einmal Kopfweh hat, gleich zum Arzt. Gerade Kopfschmerzen müssten aber laut Allgemeinmedizinerin Rothe immer abgeklärt werden, denn dahinter könne sich vieles verbergen. Das gelte auch für Rückenschmerzen.

Werbung für Medikamente

Aber sehen wir nicht täglich in der Werbung, wie einfach man diese Wehwehchen durch Einnahme des entsprechenden Präparates abschalten kann? Die Allgemeinmedizinerin Rothe ist mit dieser Werbung nicht glücklich: "Sie verführt viele Menschen zu leichtsinnigem Verhalten." Durch die leichte Zugänglichkeit der Präparate werde die Wirkung oft unterschätzt. Rothe betont, wie wichtig Aufklärung hier sei. Es komme sehr oft vor, dass Patienten die Frage, ob sie schon selbst etwas genommen haben, verneinen, weil sie zum Beispiel nicht wissen, dass Aspirin C fiebersenkend wirkt.

Nicht alles tut gut

Auch Manfred Maier, Universitätsprofessor für Allgemeinmedizin, warnt vor einer Unterschätzung von frei verkäuflichen Medikamenten. Während die Vitamin- oder Spurenelementtabletten, die man im Supermarkt kaufen kann, meist wirkungslos seien, können einige OTC-Präparate auch ernste Folgen verursachen. Bei unkontrollierter Einnahme können manche Schmerzmittel Magen-Darmblutungen oder andere Folgen, zum Beispiel eine kaputte Niere, verursachen. Außerdem würden sich einige Medikamente untereinander nicht vertragen. Maier plädiert daher in jedem Fall für das Zurateziehen eines Arztes, und sei es auch nur ein Anruf.

Christiane Körner, Vizepräsidentin der Apothekerkammer, dagegen betont, dass gut eingesetzte OTC-Präparate eine segensreiche Sache sind. Bei ganz banalen Infekten, leichten Halsschmerzen oder Schnupfen gebe es sehr gute rezeptfreie Medikamente. "Ernste Fälle schicken wir sowieso zum Arzt weiter. Wir würden zum Beispiel nie ein Blutdruckmittel einfach so abgeben."

Internetinformationen stiften oft Verwirrung

Einig sind sich die Experten, was das Internet angeht. Zu viele und missverständliche Informationen und die Vermischung seriöser und unseriöser Informationen überforderten die Patienten. Allgemeinmedizinerin Rothe erzählt, dass gerade gebildete Menschen, die sich auch selbst informieren und weiterbilden möchten, durch die Recherche im Internet oft sehr verunsichert in die Praxis kommen. "Die Aufgabe des Arztes ist es dann aufzuklären und zu beruhigen", sagt sie. Es sei auch nicht sinnvoll, wenn Menschen anfangen, ihre Befunde zu studieren und sich beunruhigten, weil irgendein Wert vielleicht eine minimale Abweichung zeigt. Sehr zu begrüßen sei Eigenverantwortung dagegen dann, wenn Menschen zum Beispiel regelmäßig ihren Blutdruck messen. Und natürlich, wenn sie ganz allgemein auf sich und ihre Gesundheit achten. (DER STANDARD, Printausgabe, 3. 4. 2006)