Die Texte von Isolde Charim im STANDARD versetzen mich meist in Ratlosigkeit. Dann frage ich mehrere Freunde: Versteht ihr diesen oder jenen Absatz? Wisst ihr, was die Autorin meint? Kopfschütteln . . .

Wenige Tage nach der Wende hat Charim eine Debatte über die angeblich mangelnde Legitimität - im Gegensatz zur Legalität - der neuen Regierung vom Zaun gebrochen (19. 2.) und damit auch die Demonstration am Heldenplatz begründet. Wusste gar nicht, dass ich deshalb dort war, und konnte auch nach dem dritten Beitrag zur "Differenzierung dieser Begriffe" deren Relevanz für die gegenwärtige Situation in Österreich nicht erkennen.

Charims Aufgabe als Intellektuelle wäre es, klarzumachen, inwiefern diese Frage für uns (nicht an und für sich) wichtig ist. Das aber hat nicht stattgefunden. Stattdessen reiht sie ein "Erklärungsprinzip" (Bateson) an das andere.

Ein Erklärungsprinzip benennt ein Phänomen, ohne aber zu dessen Verständnis beizutragen. Die Menschengehen damit allerdings um, als wäre es eine Erklärung.

Sohn: Mama, was ist ein Instinkt?

Mutter: Instinkt, mein Lieber, ist ein Erklärungsprinzip.

Sohn: Aber was erklärt es?

Mutter: Alles - fast alles. Alles, was man damit erklären will.

Sohn: Sei nicht albern. Es erklärt doch nicht die Schwerkraft.

Mutter: Nein. Aber nur deshalb, weil niemand will, dass "Instinkt" die Schwerkraft erklärt. Wollten wir das, könnten wir einfach sagen, dass der Mond einen Instinkt hat, dessen Stärke sich umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung verändert. (Aus Gregory Bateson: "Metalog - Was ist ein Instinkt?")

Ein in letzter Zeit von vielen Autoren strapaziertes Erklärungsprinzip ist zum Beispiel "österreichisch". Ah ja, sagen dann manche verständnisvoll nickend, "typisch" und sind so klug als wie zuvor. Ein anderes ist etwa die von Charim zur Erhellung der obgenannten "Differenzierung" bemühte "politische Grenze des Sagbaren" oder der "Grundkonsens" (26. 2.) Was ist das? Wo steht der geschrieben? Wie wird er interpretiert? Wer wacht über ihn? Ist die Präambel im Regierungsabkommen nicht das nämliche? Fragen über Fragen. Wie will man daher beurteilen, wer ihn verletzt und wodurch.

Was fehlt, sind klare, verständliche Argumente. Statt-dessen lesen wir: "Demokratie ist eben nicht eine grenzenlose Möglichkeit - etwa die des Dialogs, sondern vielmehr jene Möglichkeit, die sich von einer eindeutigen Grenze her ergibt" (26. 2.).

Habe nun, ach, den Satz durchaus studiert mit heißem Bemühen. Demokratie ist also eine Möglichkeit, die sich . . . nein, so (19. 2.): "Demokratie ist zunächst die Auseinandersetzung darüber, was demokratische Grenzen sind, worin Demokratie qualitativ besteht."

Erste Frage: "Zunächst" - und was dann? Zweite Frage: Was sind "demokratische Genzen" bzw. was wäre eine undemokratische? Und, gesetzt den Fall, die Demokratie, die noch gar keine ist, initiiert einen Dialog darüber, wo die Grenzen der Demokratie verlaufen sollen: Was, wenn dabei Konsens entstünde, gar keine oder andere als die von der Philosophin geschätzten Grenzen festzulegen?

Isolde Charims Beiträge machen mich im Kopf eng. Ihre Behauptungen verwirren - oder sie sind leicht zu falsifizieren, wie etwa auch "Die Kunst pendelt derzeit zwischen Widerstand und Agonie" (15. 5.). Musiker proben, Maler malen, Premieren finden statt, Robert Schindel schreibt ebenso heftig an seinem neuen Roman wie in den Vergleichszeiträumen (100 Tage) im Frühjahr '99 und '98 - und ich arbeite gerade an einem kleinen, unpolitischen Liebesgedicht . . .

Georg Herrnstadt, Mitglied der Gruppe "Schmetterlinge", ist Komponist, Regisseur und Organisationsberater in Wien.