derStandard.at: Die Sozialisten und der Fidesz unter Viktor Orbán liegen in der Wählergunst Kopf an Kopf. Was wird letztendlich entscheidend sein?

Hadj-Abdou: Das TV-Duell Gyurcsány-Orbán von Mittwoch und die gestrige Viererrunde mit Gábor Kuncze von der kleinen liberalen Regierungspartei SZDSZ und Dávid Ibolya vom konservativen Demokratenforum MDF gemeinsam mit den Hauptkontrahenten Gyurcsány und Orbán, sind sicher entscheidend für die Wahl. Das TV-Duell von diesem Mittwoch wies Gyurcsány eher die Favoritenrolle zu. Orbán wich vielen Fragen aus, während in Gyurcsany mit Kritik konfrontieren konnte.

Natürlich hängt, verbunden damit, die Wahlentscheidung vorrangig davon ab, inwieweit die zwei großen Parteien ihre Basis mobilisieren können. Umfragen besagen, dass, wenn die Wahlbeteiligung unter 58 Prozent liegt, die Chancen der Sozialisten besser sind, dann ist es jedoch laut dem Meinungsforschungsinstitut IPSOS wahrscheinlich, dass das SZDSZ den Einzug ins Parlament nicht schafft. Bei einer Wahlbeteiligung über 58 aber unter 63 Prozent liegen FIDESZ und MSZP gleich auf, und SZDSZ haben eine reale Chance ins Parlament zu kommen. Wenn schließlich durch die Mobilisierung der bis dato unsicheren WählerInnen eine Wahlbeteiligung über 63 Prozent erreicht werden kann, stehen die Chancen wiederum für die MSZP besser, so IPSOS.

derStandard.at: Orbán muss in Sachen Koalition auf das MDF hoffen, während SZDSZ Gyurcsany eine weitere Amtszeit sichern könnte. Wie stehen die Chancen der beiden Parteien?

Hadj-Abdou: MDF hat laut Meinungsumfragen geringe Chancen, die Partei liegt bei drei Prozent, wobei fünf Prozent die Sperrklausel ist. SZDSZ hat bessere Chancen ins Parlament zu kommen. Letzte Meinungsumfragen, die von letzter Woche stammen - diese Woche dürfen nach ungarischem Wahlrecht keine Umfragen mehr stattfinden - deuten auf ein Drei-Parteien-Parlament hin, mit MSZP, FIDESZ und SZDSZ. Aber mit Umfragen muss man natürlich vorsichtig sein.

derStandard.at: Erstmals tritt auch eine geeinte ROMA-Partei an.

Hadj-Abdou: Es gab bereits 2002 mehrere Roma-Parteien die zur Wahl antraten, aber damals konnte aufgrund der inneren Fragmentierung dieser Parteien, nur eine einzige in den 176 Wahlkreisen punkten. Diesmal konnte erstmals eine Partei insgesamt 29 Kandidaten und acht Listen aufstellen. Zur Erklärung: In Ungarn gibt es 176 Einzelwahlkreise mit Mehrheitswahlrecht, und 20 territoriale Wahlkreise mit Verhältniswahlrecht, d.h. aus diesen 20 Wahlkreisen hat die MCF Roma Partei acht Listen. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen aus den ungarischen Wahlen reicht diese Anzahl an Listen und Kandidaten jedoch nicht aus, um die 5 Prozent-Grenze zu überspringen. Die Partei scheint demnach auch in den Meinungsumfragen nicht auf.

derStandard.at: Erstmals können die Ungarn auch die Ergebnisse zweier Amtszeiten miteinander aufwiegen. Die Ungarische Sozialistische Partei regierte die letzten vier Jahre, der Fidesz die Jahre davor. Wer kann aus wirtschaftlicher Sicht mehr Erfolge vorweisen?

Hadj-Abdou: Jedenfalls besitzt etwa Gyurcsány schon aufgrund seiner persönlichen, erfolgreichen wirtschaftlichen Tätigkeit ein entsprechendes Image, das auch auf die Partei abfärbt. Die wirklichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme des Landes wurden jedoch von beiden Parteien nur zum Teil berührt, wie etwa das desolate Gesundheitswesen.

In den jetzigen Wahlen haben beide Parteien Versprechungen gemacht, wie etwa Reduzierung der unternehmerischen Sozialabgaben, die wirtschaftlich nicht finanzierbar sind. Es ist hier auch hinzu zu fügen, dass der jetzige Wahlkampf der erste überhaupt seit 1990 war, in welchem zu einem überwiegenden Teil der Kampagne wirtschaftliche Fragen im Zentrum standen. Fidesz startete seine Kampagne mit der Aussage, dass es den Ungarn und Ungarinnen schlechter gehe als vor vier Jahren. Dies löste eine große Debatte aus und führte zu einer "Versprechensspirale" seitens der zwei großen Parteien im Wahlkampf. Doch sowohl Angaben des ungarischen statistischen Zentralamts als auch soziologische Untersuchungen zeigen, dass es den Ungarn und Ungarinnen heute besser geht als vor vier Jahren. Dies alleine besagt jedoch an sich noch nichts über die Politik der Parteien oder deren wirtschaftliche Kompetenz.

derStandard.at: Können die Wahlkampfauftritte im Hochwassergebiet unentschlossene Wähler noch umstimmen?

Hadj-Abdou: Gyurcsány hat sich ebenso wie Orbán auf den Dämmen inszeniert. Hier kann nicht von einem Vorteil eines Kandidaten ausgegangen werden.

derStandard.at: Aus welcher Richtung könnten die Todesdrohungen gegen Viktor Orban gekommen sein?

Hadj-Abdou: Das ist äußerst unklar. Doch derartige Drohungen im ungarischen Wahlkampf sind nicht neu. Nunmehr soll der slowakische Geheimdienst angeblich dem ungarischen Geheimdienst mitgeteilt haben, dass es Informationen gebe, wonach in der letzten Phase des Wahlkampfs Bombenattacken zu erwarten sind. Diese Drohungen haben die Drohungen gegen Orbán nunmehr überschattet. Tatsächlich gab es schon zu den Wahlen 1994 (z.B. Parlament) und 1998 (bei FgKP und Fidesz) Bombenattentate vor den Wahlen. Vom wem diese ausgingen, wurde jedoch nie geklärt und es hat sich auch bis heute niemand dazu bekannt.

derStandard.at: Gibt es Wahlempfehlungen aus der EU?

Hadj-Abdou: Beim MSZP-Auftaktkongress zum Wahlkampf war Tony Blair zugegen. Beim späteren Fidesz-Kongress vor zwei Wochen gab es nur Grußbotschaften, d.h. Unterstützungserklärungen wie von Merkel und Berlusconi, jedoch keine persönliche Teilnahme europäischer Parteifreunde am Kongress, was auch in einigen ungarischen Medien Anlass zur Debatte war. Als Ausnahme ist hier jedoch Hans-Gerd Pöttering zu nennen, der Fraktionsvorsitzende der EVP im Europäischen Parlament.