Elisabeth Rehn (re.) auf dem Symposium in Wien.
Frank Helmich
Frauen sind in bewaffneten Konflikten häufig Opfer von Gewalt und sexuellen Übergriffen, in Friedensprozesse sind sie aber kaum eingebunden. Internationale ExpertInnen diskutierten am Donnerstag und Freitag in Wien im Rahmen des Symposiums "Building Peace -Empowering Women", wie sich das ändern lässt. Zentrales Thema war die Umsetzung der UN-Resolution 1325. Sie wurde im Jahr 2000 verabschiedet und fordert die Einbindung von Frauen in alle Phasen des Friedensprozesses. Elisabeth Rehn war Verteidigungs- und Gleichstellungsministerin Finnlands und UN-Rapporteurin auf dem Balkan. Für die UNO hat sie in Zusammenarbeit mit Ellen Johnson Sirleaf die Studie "Women War Peace" erstellt. Die beiden Expertinnen dokumentierten darin die Erlebnisse von Frauen während und nach Kriegen in 14 Ländern. Im Interview mit die Standard.at erklärt Elisabeth Rehn, warum Frauen noch immer nicht an den Verhandlungstischen sitzen und was die UN-Resolution gebracht hat.

dieStandard.at: Erklärtes Ziel des Symposiums in Wien ist es, die UN-Resolution 1325, die im Jahr 2000 verabschiedet wurde, wirksam zu machen. Heißt das, sie ist im Moment noch nicht wirksam?

Rehn: Seit der Verabschiedung der Resolution gab es viele Verbesserungen, teilweise aufgrund unseres Berichtes "Women War Peace". Doch noch immer bleibt viel zu tun: Nach wie vor gibt es bei Missionen zur Friedenserhaltung wenig Frauen in Top-Positionen, an den Verhandlungstischen ist die Situation noch schlechter; der Frauenhandel, Vergewaltigungen nach Kriegsende – diese Liste könnte ich noch lange weiterführen.

dieStandard.at: In Ihrem Bericht kritisieren Sie auch Vergewaltigungen durch UN- und anderes humanitäres Personal und verlangen null Toleranz. Bemerken sie Fortschritte in diesem Bereich?

Rehn: Die UNO hat eine Null-Toleranz-Politik für UNO-Personal eingeführt, das in Frauenhandel involviert ist oder Bordelle besucht. Für die gibt es ein One-Way-Ticket nach Hause. Vergewaltigung und Missbrauch Minderjähriger sind Verbrechen, die Täter müssen vor Gericht gestellt werden – am besten dort, wo sie das Verbrechen begangen haben. Westliche Diplomaten, Mitarbeiter humanitärer Organisationen, ziviles Personal sind gute Kunden in Bordellen – das haben mir die Frauen selbst erzählt.

dieStandard.at: Gibt es Ansätze, Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten gerichtlich zu verfolgen?

Rehn: Sexuelle Gewalt und Massenvergewaltigungen werden vom Internationalen Gerichtshof als Kriegsverbrechen eingestuft. Das erste Gerichtsverfahren wegen Vergewaltigung in Den Haag hatte hohe Gefängnisstrafen zur Folge – im Höchstfall über zwanzig Jahre.

dieStandard.at: Vergewaltigung wurde immer als Waffe in Kriegen eingesetzt, hat sich da in den letzten hundert Jahren etwas geändert?

Rehn: Das Wesen der Kriege hat sich verändert. Es sind nicht mehr Kriege zwischen Nationen, sondern zivile Kriege um Macht, Politik und Wirtschaft. Die wirksamste Waffe ist, den Feind durch Vergewaltigung zu erniedrigen: das Vergewaltigungsopfer, dessen Familie und die ganze Gesellschaft. Auch die Medien werden zu diesem Zweck verwendet. In Ruanda wurden HIV-positive Männer über das Radio aufgefordert, so viele Tutsi-Frauen und -Mädchen wie möglich zu vergewaltigen. Rund 500.000 Frauen wurden vergewaltigt, 30 bis 40 Prozent davon sind heute HIV–positiv oder tot. In Bosnien und Herzegowina wurden 20.000 auf Befehl vergewaltigt. In der Geschichte des Krieges begingen stets Individuen Vergewaltigungen, sie folgten keinem Befehl.

dieStandard.at: Sind Frauen im jetzigen Irak-Konflikt stärker in den Friedensbildungs-Prozess eingebunden?

Rehn: Leider nicht so stark, wie wir uns wünschen. Es wurden zwar Frauen ins Parlament und die Gemeindevertretungen gewählt; gleichzeitig wurden aber Sharia-Gesetze eingeführt, die den Frauen sogar weniger Rechte geben als zu Saddams Zeiten. Die Frauen selbst sagen, sie hatten damals mehr Rechte.

dieStandard.at: Was müsste im aktuellen Irak-Konflikt geschehen, um die Position der Frauen zu stärken?

Rehn: Ich bin keine Irak-Spezialistin. Aber natürlich ist klar, dass eine militärische Intervention die humanitären Probleme nicht lösen kann – dazu braucht man zivile Experten. Die sind nun dort, aber bei all dem Hass wird es sehr schwierig, die Dinge in Gang zu bringen.

dieStandard.at: In Afghanistan sind Frauen nach wie vor unterdrückt. Haben die so genannten Befreier versagt?

Rehn: Ich habe erst kürzlich bei einer Menschenrechts-Konferenz Sima Samar getroffen – die Präsidentin der Independent Afghanistan Human Rights Commission. Sie berichtete, die Situation habe sich verbessert: Mädchen dürfen jetzt zur Schule gehen, Frauen dürfen arbeiten. Doch es gibt noch immer viele Hindernisse für Frauen auf dem Weg zur Freiheit. Es gibt jetzt nur eine weibliche Ministerin und keine einzige Frau im obersten Gerichtshof. Frauen haben zwar jetzt das Recht zu wählen, doch meist müssen sie dabei die Anordnungen ihrer Männer und Väter befolgen. Die Frauen in Afghanistan fordern auch stärkeres internationales Interesse – das lässt nun, nach dem ersten Schub, nach.

dieStandard.at: Die UNO-Resolution 1325 wurde bereits im Oktober 2000 verabschiedet, warum wird sie noch immer nicht umgesetzt?

Rehn: Die UNO und ihre Mitgliedsstaaten sind kein gutes Vorbild für die Krisengebiete. Bei friedenserhaltenden Einsätzen kommen noch immer wenige Frauen zum Zug und viele Regierungen sind noch immer großteils ein boys´-Club. Zum Glück sind manche Regierungen jetzt aufgewacht: Norwegen und England haben am internationalen Frauentag sehr ambitionierte Programme zur Durchsetzung der UN-Resolution gestartet, andere Länder haben das schon davor getan. Einige MinisterInnen der österreichischen Regierung haben ein gemeinsames Programm erstellt, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Aber im Unterschied zu Afrika weiß in Europa keiner, was 1325 ist.

dieStandard.at: Sie kritisieren, dass die Bemühungen von Frauen in Krisengebieten zu wenig unterstützt werden – von wem: ihren eigenen Regierungen, vom Westen, von der UNO?

Rehn: Von all diesen; vor allem aber von den eigenen Leuten. Schauen Sie sich nur die Status-Gespräche über den Kosovo an: In der Kosovo-Delegation gibt es keine einzige Frau. Am internationalen Frauentag haben die kosovarischen Frauen dagegen protestiert und ich selbst habe das Team des UN-Sondergesandten für den Kosovo Athisaari aufgefordert, die 1325-Resolution ernst zu nehmen.

dieStandard.at: Wie viel würde es kosten, Frauenvereinigungen in den Krisengebieten ausreichend zu unterstützen und auch für die Ausbildung von Frauen zu sorgen?

Rehn: Im Vergleich zu den Kosten für Militär und Polizei brauchen Frauen nicht viel Geld. Die Ausbildung soll von den Frauen selbst durchgeführt werden, nachdem die Trainerinnen von Experten der UNO oder der EU ausgebildet wurden. In Osttimor gab es tolle Erfolge: Dort wurde gemeinsam mit Gender-Experten und Unifem (UNO-Entwicklungsfonds für Frauen) ein Ausbildungsprogramm für Frauen durchgezogen. Als Ergebnis gingen 27 Prozent der Sitze im ersten Parlament Osttimors an Frauen!

dieStandard.at: Sind Sie mit den Reaktionen auf Ihre Studie zufrieden?

Rehn: Ich bin mehr als zufrieden. In den letzten drei Jahren seit der Veröffentlichung der Studie hat die UNO-Führung unsere Empfehlungen verstanden: Sie haben in Kooperation mit Unifem spezielle Seminare im UN-Hauptquartier organisiert – die Botschaft ist klar. Ich selbst halte regelmäßig Vorträge vor Militär, Polizei und Zivilisten. Doch die Ergebnisse sieht man nicht von heute auf morgen – wir müssen Geduld haben und uns über jeden Schritt vorwärts freuen.