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Nur jeder Zwanzigste hat von Natur aus perfekte Zähne

Foto: apa/dpa/Gero Breloer
Zahnspangen liegen im Trend. Nur jeder Zwanzigste hat von Natur aus perfekte Zähne, alle anderen sind potenzielle Kunden der Kieferorthopädie - sei es um der Gesundheit, der Schönheit oder um beider willen. Zahn- und Kieferregulierungen sind nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern zunehmend auch für Erwachsene eine Option. "Ein Drittel ist medizinisch unbedingt notwendig, ein Drittel überlegenswert und ein Drittel rein kosmetisch", erklärt Wolfgang Jesch, Chefzahnarzt der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK). Denn Zahnfehlstellungen können auf lange Sicht zum Entstehen von Zahnbelag, Karies, Zahnfleischentzündungen bis hin zu vorzeitigem Zahnverlust führen. Die bei Weitem häufigste Fehlstellung ist der Rückbiss, wobei entweder das Unterkiefer zu weit hinten oder das Oberkiefer zu weit vorn steht. Dazu kommen Kreuzbiss, offener Biss, Zahn-Engstände oder Lücken.

Komplizierte Fälle zum Spezialisten

"Eine einfache Fehlstellung kann sicher auch der Zahnarzt behandeln", sagt Wolfgang Marik, Leiter des Zahnambulatoriums der WGKK. Bei komplizierteren Fällen ist allerdings der Gang zum Spezialisten ratsam, denn, so der Wiener Kieferorthopäde Gunther Tischler: "Es ist fast unmöglich, gleichzeitig ein guter Zahnarzt und ein guter Kieferorthopäde zu sein."

Richtige Arztwahl

Die richtige Arztwahl ist aber nicht ganz einfach, weil es in Österreich im Gegensatz zu fast allen anderen europäischen Ländern keinen Fachzahnarzt für Kieferorthopädie gibt. Jeder Zahnarzt - ob mit oder ohne kieferorthopädischer Zusatzausbildung - kann Zahnspangen anfertigen. Im Klartext heißt das, so Manfred Tacha vom Verein für Konsumenteninformation und Autor des VKI-Ratgebers "Zähne": "Was Österreichs Zahnärzte in der Kieferorthopädie können, ist, gelinde gesagt, sehr uneinheitlich." Generell gut beraten ist man mit Kieferorthopäden, die von den drei österreichischen Universitätszahnkliniken kommen, oder auch mit jenen derzeit 52 Spezialisten, die sich der anspruchsvollen Prüfung des "Austrian Board of Orthodontists" oder des "European Board of Orthodontists" gestellt haben.

Arten von Zahnspangen

In der Behandlung unterscheidet man grundsätzlich zwischen abnehmbaren und festsitzenden Zahnspangen. "Abnehmbare Spangen sind nur im Milch- und Wechselzahnalter anzuwenden. Sobald alle bleibenden Zähne durchgebrochen sind, sind festsitzende Zahnspangen sinnvoller", sagt Kieferorthopäde Tischler.

Eine solche Multibracket-Apparatur ist fest mit den Zähnen verbunden, wobei der Arzt für den individuellen Fall vorgefertigte Stahl-, Stahlkeramik- oder Kunststoff-Brackets direkt auf die Zähne aufklebt. Gemeinsam mit hochelastischen Drahtbögen, die in die Brackets eingesetzt und fixiert werden, bewirken sie die Korrektur der Zahnfehlstellungen. Tischler: "Mit festsitzenden Spangen können die Zähne in allen drei Raumebenen kontrolliert bewegt werden." Die Behandlung mit festsitzenden Apparaturen dauert in der Regel kürzer als die mit abnehmbaren Zahnspangen, bei Erwachsenen geht es insgesamt etwas langsamer als bei Kindern und Jugendlichen. Im Durchschnitt dauern Behandlungen zwischen zwei und drei Jahren. Rund 40 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden an Zahnfehlstellungen, mit 60 bis 75 Prozent überwiegt in Österreich die Behandlung mit abnehmbaren Zahnspangen.

Frage des Geldes

Ein erstaunlich hoher Prozentsatz, von dem Experten vermuten, dass er nicht ausschließlich auf medizinische Indikationen zurückzuführen ist, sondern auch mit dem Honorarkatalog der Krankenkassen zu tun hat, der aus dem Jahr 1973 stammt und nur für abnehmbare Zahnspangen Leistungen mit hohem Selbstbehalt vorsieht. Für festsitzende Apparaturen gibt es überhaupt nur bei ganz bestimmten Diagnosen einen kleinen jährlichen Zuschuss (bei der WGKK beträgt dieser derzeit 294,40 Euro), dem durchschnittliche Kosten von 3000 bis 5500 Euro für eine Gesamtbehandlung mit fester Spange gegenüberstehen.

Mittelfristige Privatangelegenheit

Den Kassen ist der Nachholbedarf bewusst: "In vielen Fällen gibt es auch für schwere Anomalien keine zeitgemäße Behandlung auf Kassenkosten", räumt WGKK-Chefzahnarzt Jesch ein. Über einen neuen Vertrag mit der Ärztekammer wird nachgedacht. Aufgrund der enormen Mehrkosten, die eine Aufnahme festsitzender Kieferorthopädie in den Leistungskatalog bedeuten würde, rechnet man allerdings nicht mit baldigen Neuerungen. Für die Patienten heißt das: Kieferorthopädie bleibt auch mittelfristig Privatangelegenheit. (DER STANDARD, Printausgabe, 10. 4. 2006)