Eine Nackte am Kreuz empört Salzburg. Die für Freitag von der ARGE Kultur geplante "Prozession" wurde nach massiven Protesten abgesagt.

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Drohungen trotz Absage der Kunstprozession

Foto: ARGE
Am Freitag hätte in Salzburg eine Performance stattfinden sollen, die sich in besonderer Weise mit dem Opferbegriff und dessen Missbrauch auseinander setzt – in Form einer "Prozession", mit Lesungen, Diskussionen und Bildbeispielen, konzipiert von vierzig verantwortungsbewussten, mündigen Künstlern, veranstaltet von der renommierten Arge Kultur. Doch das Vorhaben wurde abgesagt, weil die Veranstalter den Druck von Medien, Politik und einem aufgereizten Mob, der mit Gewalt drohte und die Künstler am liebsten "am Domplatz gekreuzigt" gesehen hätte, nicht mehr aushielten.

Wieder einmal hat es die Kronen Zeitung geschafft – selten zuvor aber war es für sie so einfach wie jetzt: SPÖ- und ÖVP-Politiker/innen haben die unglaubliche Hetzkampagne in trauter Einigkeit nicht nur massiv unterstützt sondern sie sogar noch angeheizt, ohne sich auch nur einmal bei den Veranstaltern zu erkundigen, was denn genau geplant wäre. Sie ließen sich instrumentalisieren, weil sie allemal lieber im Teich des rechten Wählerpotenzials fischen, als Gerechtigkeit, künstlerische Freiheit und Toleranz zu verteidigen. Dass die "Krone" und der Salzburger Bischof eine feste Meinung zur Veranstaltung hatten, musste genügen.

Religiöse Gefühle würden verletzt, hieß es, weil das Ankündigungsplakat eine nackte Frau am Kreuz zeigt, und schon drohte SP-Bürgermeister Heinz Schaden der Arge mit dem Entzug von Subventionen,. Freiheit des Glaubens? Schutz der Religionsausübung? – Unbenommen. Solange man allerdings religiöse Werte nicht kritisieren darf, ohne Gefahr zu laufen, dass dadurch sich jemand verletzt fühlen könnte, und der § 188b des StGB für so einen Fall noch immer eine Strafe von einem halben Jahr (!) vorsieht, wird der katholischen Kirche eine Machtposition eingeräumt, die ihr einfach nicht mehr zusteht.

Auch über die scheinbar selbstverständlichsten Normen muss, wenn sie unser Zusammenleben betreffen, ein öffentlicher Diskurs geführt werden dürfen, sonst bleibt unsere viel beschworene "Mündigkeit" nur Makulatur. Zu viele Bürger/innen sehen sich in ihrer (Meinungs-)Freiheit durch diesen Paragrafen eingeschränkt, der angeblich religiöse Gefühle schützen soll, in Wahrheit aber nur der Knebelung von Kunst und aufgeklärtem Diskurs dienst.

Bei einer von arabischen und europäischen Parlamentariern vor wenigen Wochen in Rom einberufenen Konferenz zum Karikaturenstreit hat der Gesandte des litauischen Parlaments, ein katholischer Priester, den Verteidigern "muslimischer Gefühle" entgegen gehalten, dass "sein" Christus keine Verteidiger brauche, und daran erinnert, wie dieser den Jüngern, die ihm bei der Verhaftung verteidigen wollten, erklärte, dass der Vater im Himmel jederzeit Legionen schicken könnte, wenn er das wollte. Deshalb, so der Priester, vertrete er die Ansicht, dass Mohammed nicht durch die Karikaturen beleidigt werde, sondern von jenen, die sich als seine Verteidiger aufspielen, um ihn kurz darauf selbst zu verraten.

Doch zurück nach Salzburg. Dass die Stadt mit Gegenwartskunst seit einigen Jahren nichts mehr am Hut haben will, ist evident. Da nützt auch der scheinheilige Museumsbau auf dem Mönchsberg nichts. Eine von der Gruppe "Gelatin" gefertigte Skulptur dieses Museums ließ Bürgermeister Schaden verhüllen, damit nur ja kein Touristenauge von einem pissenden Mann irritiert werde; die als "pornographisch" denunzierten EU- "Slip"-Plakate wiederum durften dank Landeshauptfrau Burgstaller gleich gar nicht erst affichiert werden; und nicht einmal Paola Pivis harmloser, für Mozartjahr und Mozartplatz konzipierte Hubschrauber erhielt Landeerlaubnis. Alles was anders aussieht als eine Mozartkugel, ist unerwünscht, weil irritierend für Stadttouristen, Kirchengeher und Kronen Zeitung.

Was die Politik im Kulturbereich über Jahrzehnte an Toleranz und Freisinnigkeit aufgebaut hat, wird solcherart systematisch ruiniert, und wenn dieser "Trend" anhält, werden die Dichands dieses Landes schon bald am dicken Zensurkatalog werken. Immer unverfrorener mischt sich der Boulevard in die Definition von Kunst und deren "Subventionswürdigkeit" ein und immer direkter fordert er von der Politik, seine Wünsche zu erfüllen. Das Kind braucht bloß zu schreien und schon springen die Eltern, auch wenn sie es ethisch längst nicht mehr vertreten können.

Allerdings hat wohl auch die Arge das ihre dazu beigetragen und mit der Absage der Veranstaltung das Kind negativ konditioniert. Ihr Sicherheitsbedürfnis in Ehren, aber wenn immer alle zurückgezogen hätten, weil jemand einen bösen Brief mit bedrohlicher Wortwahl schickt, wären wir heute dort, wo wir bald wieder sein werden: Wir bewegen uns mit Riesenschritten zurück ins kulturelle Klima der 50er Jahre. Wollen wir das? (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.4.2006)