Der gemeine Holzbock
Gäbe es ein Sympathieranking in der Tierwelt, würde er ganz sicher am untersten Spross der Leiter kleben bleiben: Der gemeine Holzbock, lateinisch Ixodes Ricinus, ist ein ziemlich hässliches Wesen und Europas häufigste Zeckenart. Entgegen eines weit verbreiteten Vorurteils lebt er nicht nur auf Bäumen, sondern vor allem in Wiesen und im Unterholz. Wenn sich ein Opfer nähert, lässt er sich fallen und sticht zu. Jetzt beginnt für den Menschen das, was die Impfexpertin Sissy Alphart vom Serumhersteller Novartis "russisches Roulette" nennt.
Anfang der 70er jährlich rund 700 Fälle
Jede 200.000ste bis 1000ste Zecke in einem Risikogebiet - und viele Regionen Österreichs gelten als solche - trägt gefährliche Erreger in sich. Mit dem Speichel des gemeinen Holzbocks geraten diese in die menschliche Blutbahn und können FSME oder Borreliose auslösen. Noch Anfang der 70er-Jahre wurden in Österreich jährlich an die 700 Krankheitsfälle registriert.
Künstliche Panikmache, oder Notwendigkeit?
Dann gelang es dem Linzer Virologen Christian Kunz, einen Impfstoff zu entwickeln. 1976 startete die Immuno AG (heute Baxter) die serielle Produktion. Ursprünglich war das Serum nur für die kleine Zielgruppe der Land- und Forstarbeiter gedacht. Doch nach einer groß angelegten Informationskampagne mit verbilligten Tarifen ließen sich 87 Prozent der Österreicher gegen FSME impfen - mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Kritiker wie der Münchner Kinderarzt Martin Hirte, Autor des detaillierten Ratgebers Impfen - Pro und Contra (Knaur-Verlag) werfen der Pharmaindustrie künstliche Panikmache vor. Er rät nur zwei Gruppen zur FSME-Impfung: Menschen, die berufsbedingt viel in der Natur unterwegs sind, beispielsweise Gärtner oder Bauern, und Einwohnern von Hochrisikogebieten. Hirte behauptet sogar, dass das Risiko neurologischer Schäden nach einer Impfung mit 1:32000 höher sei als nach einem Zeckenbiss (1:78000).
Die Impffolgen
Vor allem Kleinkinder fiebern nach der Impfung häufig. "Das mit den Nebenwirkungen ist ein Argument, das so nicht stimmt", sagt Sissy Alphart: "Die Dosierungen im Impfstoff haben sich in den letzten Jahren verändert, sind viel feiner abgestimmt als bei den ersten Impfstoffen, die auf den Markt kamen. Damit sind auch die Nebenwirkungen wie Fieber seltener geworden." Impfbefürworter berufen sich ebenfalls auf die Statistik. 1979 wurde bei 677 Österreichern FSME diagnostiziert, 1999, nach den großen Impfkampagnen, waren es nur mehr 41 Fälle. 400 Millionen Euro an Kosten habe man der Sozialversicherung innerhalb von zehn Jahren erspart, verkündet Hersteller Baxter stolz.
Alle fünf Jahre auffrischen
Die weltweit vorbildliche Impfmoral der Österreicher hat allerdings neuerdings einen Knacks bekommen. Alle fünf Jahre sollte man die Zeckenimpfung auffrischen lassen, so die aktuelle Empfehlung der staatlichen Impfkommission. Das nehmen die meisten jedoch nicht so genau. Vor allem die Pensionisten sind nachlässig. Das Ergebnis: Die Krankheitsfälle nehmen wieder zu. 100 FSME-Patienten meldeten die Spitäler im Vorjahr. Drei von ihnen starben. "Wir sollten diese Fälle als Alarmsignal betrachten, mit dem warnenden Hinweis, dass die Aktivität des FSME-Virus ungebrochen ist, und in manchen Regionen sogar zunimmt", sagt Franz X. Heinz, Vorstand des Virologie-Instituts der Wiener Universität.
Zeckenhochburgen laut FSME-Monitor
Laut FSME-Monitor sind die Steiermark, Oberösterreich und Tirol die "Zeckenhochburgen" Österreichs. Viele Experten empfehlen die Impfung aber auch für jene, die außerhalb dieser Gebiete wohnen, weil es immer wieder vorkommt, dass neue Fälle in Regionen auftauchen, die bis dahin als sicher galten. Bis 31. Juli läuft auch heuer wieder die so genannte "Zeckenschutz-Impfaktion". In der Zeit wird der Impfstoff in den Apotheken um 22,50 Euro angeboten.
Welches Serum soll man nun kaufen?