Raphael Sternfeld (28): Student aus Döbling und Vorsitzender der Jungen Generation in der Josefstadt - als Angebot an die Bobos, die Bourgeoise-Bohème.

Foto: Christian Fischer
Es gibt nicht viele Menschen, die von sich sagen können, sie wollen SPÖ-Politiker werden. Raphael "Raphi" Sternfeld ist so einer. "Ich bin da ehrlich. Mich ärgert, wenn Politiker sagen, sie sind durch Zufall in die Politik gekommen. Ich kann mir mich in der Politik vorstellen", meint er selbstbewusst.

In welcher Position genau, weiß der 28-jährige Student zwar noch nicht. Aber auch so hat Raphael schon einiges erreicht: Er ist Bezirksrat und Vorsitzender der Jungen Generation (JG) Josefstadt, dem achten Wiener Gemeindebezirk.

Er hat schon ein paar Interviews in Zeitungen gegeben, die nicht von der SPÖ gedruckt werden. Er engagiert sich nebenbei bei "Change 06", dem Verein, der SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer bei der Nationalratswahl unterstützen möchte – und er hat ein Handy samt übervollem Terminkalender, also die unvermeidlichen Statussymbole eines vielbeschäftigten Politikers.

Vor allem aber bewegt er sich in jener Clique von hoffnungsroten Mit- und Endzwanzigern, die gerade dabei sind, die Wiener Partei von unten her aufzurollen – oder denen man von oben gerade erlaubt, so zu tun, als ob. Die frisch gebackene Gemeinderätin Laura Rudas (25) gehört etwa dazu. Oder Nikolaus Pelinka (19), der die Jugendschiene von "Change 06" betreut. Oder der sozialistische Jugend-Koordinator Peko Baxant (29), der im tschechischen Karlovy Vary geboren wurde.

Es ist eine bunte Mischung an jungen Leuten, die sich da formiert, Sprösslinge aus besserem Haus mit Affinität zur Sozialdemokratie und teilweise prominenten Namen gehören genauso dazu wie Jugendliche mit Migrantenhintergrund. Sie sind quirlig, gut vernetzt und im Internet ebenso beheimatet wie beim Ersten-Mai-Aufmarsch am Rathausplatz. Letzterer, preist Raphael an, hat "nichts Spießiges, da geht es locker zu, und das macht Spaß."

Raphael ist in behüteten Verhältnissen in Döbling aufgewachsen. Unter anderen Umständen wäre er wohl ohne Umwege bei den dortigen so genannten "konservativen Regimentern" gelandet, aber weil er aus einer jüdischen Familie kommt, kam die ÖVP für ihn aus Prinzip nicht infrage. Die Unternehmerfamilie zählt sich, wie er selbst sagt, zum "liberalen, intellektuellen Bürgertum" – ohnedies Mangelware in Österreich.

"Ich bin auf meine Herkunft nicht stolz, sie ist mir nicht peinlich. Es ist einfach ein Faktum", sagt er. Mit seiner korrekten Frisur, seiner legeren, aber ordentlichen Kleidung und seiner gepflegten Ausdrucksweise könnte er genauso gut Konzipient in einer Anwaltskanzlei oder angehender Investmentbanker sein so wie viele seiner Schulfreunde aus dem Wiener Lycée, dem französischen Gymnasium. "Ich habe auch Freunde, die ÖVP wählen. Das ist schon o.k."

Seine Herkunft war zwar nicht der Grund in die Politik zu gehen, aber sie schärfte sein politisches Bewusstsein. Jörg Haiders Aufstieg Anfang der 90er-Jahre trieb Raphael in ein antifaschistisches Komitee, von dort landete er bei der Jungen Generation, seit dem Jahr 2002 ist er auch offiziell SPÖ-Parteimitglied. "Die haben mich mit offenen Armen empfangen. Das hat mich motiviert weiterzumachen." Die "Jungen Rote", wie sie sich selbst gerne nennen, sind für ihn eine gute Kombination aus "Ernsthaftigkeit" und – sein generationsspezifisches Schlüsselwort – "Spaß".

Mit beiden Aspekten hat Raphael inzwischen seine Erfahrungen gemacht: an der Basis genauso wie bei Abendveranstaltungen, wo er die großen Namen seiner Partei kennen gelernt hat. Momentan sind Bildungs- und Jugendpolitik noch seine Hauptthemen: Studiengebühren abschaffen, Ganztags- und Gesamtschule einführen, mehr Freiraum für junge Menschen – die Argumente dafür kommen ihm geübt über die Lippen. In seinem Bezirk wird er aber mit allem konfrontiert – vom Hundekot bis zu den Eurofightern. Das erweitert den Horizont. "Ich bin gerne unter Leuten. Basisarbeit ist leiwand", sagt er, und es klingt tatsächlich überzeugend.

Raphael macht weiter, und das äußerst zielstrebig. Momentan schreibt er an seiner Dissertation über "Negative Campaining" – natürlich um zu wissen, was man im politischen Geschäft so alles nicht anstellen darf. Dazu macht er einen Masterlehrgang für Public Relations. Seine Diplomarbeit verfasste er über "Antisemitismus in der Sozialdemokratie" – übrigens beim gleichen Professor wie Parteichef Gusenbauer. Für ein halbes Jahr jobbt er bei News, um jene Branche verstehen zu lernen, in der sich Politik permanent reflektiert: den Medien. Nur ein Parteicoaching hat er noch nicht absolviert – aus Prinzip. "Entweder man kann es oder man kann es nicht", sagt er sehr bestimmt.

Als Nächstes möchte er im Wahlkampf in der Kampagnenzentrale mitarbeiten. Die Auswirkungen von ÖGB, Bawag & Co nimmt er zweckoptimistisch: "Ich sehe immer das Gute in der Krise. Vor ein paar Wochen haben wir noch überlegt, ob wir mit drei oder fünf Prozent gewinnen. Jetzt sind wir aufgewacht. Jetzt heißt es Gas geben."

Wenn Raphael über die SPÖ spricht, klingt das erfrischend anders. "Mentoring" für Nachwuchspolitiker fände er etwa sehr fein, auch wenn er weiß, dass die Partei nicht wie ein Unternehmen funktioniert und außerdem – hier zitiert er Bruno Kreisky – wie eine Muschel ist, die sich umso stärker verschließt, je mehr man von außen in sie eindringt. Und dass er sich am Wählermarkt "positionieren" muss, ist für ihn selbstverständlich.

Auch seine Zielgruppe kennt er: die "Bobos", bourgeoise Bohemiens, aus dem Internetboom hervorgegangene Nachfolger der Yuppies. Deshalb fühlt er sich in der urbanen Josefstadt gut aufgehoben, einem echten roten Battleground: einst innerstädtische Hochburg des konservativen Bürgertums, seit dem "Roten Oktober" 2005 grün, mit der SPÖ und der ÖVP-Liste "Pro Josefstadt" dicht auf den Fersen. "Ich sehe meine Aufgabe dort, wo es darum geht, gewisse Wählerschichten anzusprechen. Ich werde mich nie authentisch in eine Lagerhalle stellen können und 15-Jährigen etwas erklären."

Auch wann er dem Projekt SPÖ die Geschäftsgrundlage entziehen würde, weiß Raphael sehr genau: wenn Alfred Gusenbauer nach den Wahlen eine Koalition mit Haider oder der FPÖ eingehen würde. Das hat er seinem obersten Chef auch gesagt. "Schau, Alfred, ehrlich, mit dem Haider geht man nicht Spargel essen", meinte er nach einer Diskussionsveranstaltung zu ihm. Gusenbauer versprach ihm darauf: "Es wird keine Koalition mit Haider geben." Und dafür gab Genosse Alfred Genossen Raphael immerhin sein Wort. (Barbara Tóth/DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.4./1.5.2006)