Erica Fischer
"Das Wichtigste ist, sich selber treu zu bleiben.
Die Geschichte der Zwillingsschwestern Rosl und Liesl".
€ 19,95/208 Seiten. Ueberreuther, Wien 2005.

Foto: Buchcover/Ueberreuther
Der Kommunismus ist zunächst ein Kinderspiel. Als Hans Brunner 1931 von seinem ideologischen Schulungsjahr in Moskau zurückkommt, bringt er seinen Mädchen, den Zwillingsschwestern Rosl und Liesl, eine rote Fahne mit, auf der unter drei Flammen in kyrillischen Buchstaben "Immer bereit" eingestickt ist: ein Geschenk der Jungen Pioniere der KPdSU. Die beiden Elfjährigen spielen unentwegt die Aufnahmezeremonie nach, denn sie können sich nichts Schöneres vorstellen, als beim Aufbau einer neuen Gesellschaft dabei zu sein. Später, unter dem Dollfuß-Regime, unterstützen sie die illegalen Aktivitäten ihres Vaters. Wer die Welt ändern will, darf keine Angst haben.

Die Geschichte der Zwillingsschwestern Rosl und Liesl beginnt harmlos, und so ist zunächst auch der Erzählton von Erica Fischer, die aufgrund von mündlichen und schriftlichen Zeugnissen der heute 85-Jährigen diese außergewöhnliche Doppelbiografie geschrieben hat. Das rote Wien der 20er-Jahre, das Leben in der neuen Arbeitersiedlung am Rosenhügel, sogar die Armut, alles wirkt zunächst beschaulich.

Das ändert sich spätestens 1938, als auch in Österreich die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Die Zwillingsschwestern sind beide im Widerstand aktiv. Rosl, die 1943 Mutter einer zweijährigen Tochter und schon verwitwet ist, wird ebenso wie ihr Vater tagelang von der Gestapo gefoltert, bis sie sich in der 4. Etage von der Treppe hinunterstürzt. Sie überlebt – und wird im Krankenhaus vor weiteren Verhören fern gehalten. Das Buch schildert die Geschehnisse in allen grausamen Einzelheiten und berichtet auch, wie sich der Hauptquäler Anton Brödl nach dem Krieg vor einer Strafe drücken konnte.

Rosl Grossmann, wie sie damals hieß, ließ sich nicht entmutigen. Als von ihrem Vater aus dem Konzentrationslager eine Postkarte eintrifft mit der Randnotiz: "Bringt Paket", macht sie sich auf den Weg nach Sachsen, in eine Außenstelle des KZ Flossenbürg bei Zwickau, wo sie es tatsächlich schafft, ihren Vater am Zaun zu sehen und das Paket ins Lager zu schmuggeln. Erica Fischer verschränkt die Biografien der beiden erstaunlichen Schwestern mit der politischen Geschichte Österreichs. Am interessantesten sind dabei jene privaten Momente, die eine politische Situation schlaglichtartig erhellen: etwa wenn nach Kriegsende Rosl und Liesl zur Parteizentrale der neu konstituierten KPÖ pilgerten, um zu fragen, was nun zu tun sei. Generalsekretär Fürnberg wimmelte sie wie lästige Bittsteller ab, fragte auch nicht nach ihren Erfahrungen, – die Parteifunktionärszeit hatte begonnen.

Erst 1949, als Rosl und ihr Vater im Prozess gegen den Leiter der Verhöre, Johann Sanitzer, als Zeugen auftraten, wurden sie als Helden des Widerstands gewürdigt. Rosl, nun verheiratet mit Georg Breuer, hatte damals gerade ihre Karriere als Journalistin begonnen und wurde bald darauf Chefredakteurin der Stimme der Frau.

Anders verlief der Lebensweg ihrer Schwester Liesl. Sie hatte während des Krieges den Fremdarbeiter Miroslav Musil kennen gelernt und zog mit ihm in die Tschechoslowakei. Unendlich spannend lesen sich Bericht und Briefe aus jener Zeit, da Liesl unter kärglichsten Bedingungen hinter dem Eisernen Vorhang lebt und jahrelang im Glauben an den Aufbau der besseren Gesellschaft verharrt. Erzählt sie jedoch von den Lebensbedingungen ihrer Familie in Wien, wird sie ebenso angefeindet wie Rosl, wenn sie die Realitäten des Alltags jenseits der Grenze den Dogmen der KPÖ-Ideologen entgegenhält.

Die Risse werden tiefer zwischen Liesl und ihrem Mann ebenso wie zwischen Rosl und der Partei – und nach dem Einmarsch der sowjetischen Bruderarmee in die Tschechoslowakei 1968 ziehen sie alle die Konsequenzen: Liesl kehrt mit ihren drei Töchtern nach Wien zurück, Rosa und ihr Vater treten aus der KPÖ aus. Wobei sie betonen: Nicht sie haben ihre Gesinnung geändert, sondern die Partei. (DER STANDARD, Printausgabe vom 29./30.4.2006)