Wien - Seltene Formen von Nähe erlebt man da. Die Wiener Philharmoniker und auch Dirigent Philippe Jordan müssen durch die Zuschauerreihen hindurch, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen und ihn wieder zu verlassen. Und auch der philharmonische Klang, raumbedingt ein bisschen trockener als sonst, wirkt im Wiener Burgtheater besonders nah. Auch auf der Bühne schließlich Nähe. Im einfachen Raum aus weißen Wänden sind alle Figuren nahezu dauerpräsent; als wär's eine Probe, bei der man auf seinen Auftritt warten würde.
Nahe am Stückkern ist in guten Augenblicken auch die Regie von Karin Beier. Die von Mozart erstellte Figurenkonstellation produziert ja ein Kraftfeld aus streitenden Emotionen - konsequent ausinszeniert führen sie zu Extremen. Die "Martern aller Arten", von denen Konstanze singt, bedürfen dann keines äußeren Impulses, keiner Werkzeuge, sie ergeben sich aus der widersprüchlichen Architektur der Seelen, denen jede innere Ordnung abhanden kommt.
Konflikte austragen. Gefühlsordnung wieder herstellen. Es wird versucht. Der Vorgang lässt sich am intensivsten an jenem Pärchen festmachen, dass keines wurde. Und man wünschte, der ganze Abend wäre nur eine Variation über diese zwiespältige Sehnsuchtsbeziehung zwischen Konstanze und Bassa Selim geworden.
Deren Kommunikation, sie ist hier ein Sich-ineinander-Verkeilen. Für Augenblicke der schmerzhaften Nähe werden da alle Rahmenbedingungen von Macht außer Kraft gesetzt, um sie erst wieder ins Spiel zu bringen, wenn es gilt, auf Zurückweisung mit Gewaltandrohung zu reagieren.
Für Bassa Selim ist Konstanze gewissermaßen die letzte Chance, sich zu retten. Nicholas Ofczarek porträtiert einen von Obsessionen geplagten Machtmenschen, der gleichsam verstummt ist. Sein Versuch zu singen mündet in röchelnder Verzweiflung; der Traumatisierte vermag auch aus dem Klavier keinen Ton herauszuholen.
Doch Beier lässt ihn sehr nahe an Konstanze heran. Und wenn Diana Damrau dann zu ihrer dritten Arie ausholt und zeigt, zu welcher impulsiven Verschmelzung von Seelendrama und Musik sie fähig ist, bedarf es keines Bassa-Gesanges, um ein großes Duett entstehen zu lassen.
Etwas verschleiert
Um diese Geschichte einer unausgelebten Beziehung, diesem Lehrstück auch über die Genese menschlicher Destruktivität, hat man allerdings etwas oberflächlich das Verhältnis von dem, was man für Europa hält, und dem, was man für die Türkei hält, thematisiert. Da sind verschleierte Frauen, die sich vor Bassa Selim auf den Boden werfen oder sich entkleiden, um als Unterwäschezitat der Don Giovanni-Inszenierung von Martin Kusej zu fungieren.
Da sind ein paar halb lustige, vorurteilsbeladene Dialoge zwischen Pedrillo (tadellos: Cosmin Ifrim) und Osmin (witzig und gesanglich solide: Franz Hawlata). Da sind ein paar sinnlose Turnübungen, zu denen die als Püppchen gezeichnete Euroblondine (dem vokalen Part sehr oft nicht gewachsen: Julia Rempe) verdonnert wird. Und da ist ein machohaft angelegter Belmonte (ohne ausreichende vokale Reserven für die Partie: Daniel Kirch), bei dem man schwer nachvollziehen kann, warum Konstanze für ihn ist.