Es war genau 13 Uhr 07, am Mittwoch vergangener Woche: Die Chefs der beiden großen Fluggesellschaften United Airlines und US-Airways erläutern vor der nationalen und internationalen Presse ihren Plan, die beiden Fluglinien zusammenzulegen. CNN, der amerikanische 24-Stunden-Nachrichtensender, ist "live" dabei. Gerade noch. Eine Minute später schaltet sich die TV-Moderatorin aus Atlanta in die Sendung - ist ein Attentat auf den Präsidenten verübt worden, steht ein Atombombenangriff unmittelbar bevor? - nein, das Ehepaar Patsy und John Ramsey stellt sich den Medien, und CNN überträgt direkt:

Die Ramseys, das wissen alle Leser der Boulevardpresse, haben am Weihnachtsabend vor vier Jahren ihre Tochter im Keller ihres Hauses ermordet aufgefunden. Nun wollen sie, die lange verdächtigt wurden, etwas mit dem Mord zu tun zu haben, ihre Unschuld beweisen: Sie haben sich einem Lügendetektor-Test unterzogen und Cable News Network will das weltbewegende Ergebnis dem Rest der Nation mitteilen.

Hin und her gerissen zwischen seriöser Berichterstattung und Seifenoper wird der kleinste gemeinsame Nenner immer mehr zur Richtschnur in der Berichterstattung amerikanischer Medien. Die Frage, wie verkaufe ich meine Ware an möglichst viele Kunden, ist der Treibriemen am Informationsjahrmarkt. Auch wenn, um zum oben genannten Beispiel zurückzukehren, Hunderttausende, ja sogar Millionen vom Zusammenschluss der beiden Fluglinien betroffen sein werden, die (angebliche) Betroffenheit über eine Bluttat, die vier Jahre zurückliegt, ist auch CNN wichtiger geworden.

20 Jahre nach der Gründung des Cable News Networks ist die Bilanz somit zumindest widersprüchlich. "Chicken Noodle Network" - so verächtlich nannte die Konkurrenz kurz nach der Gründung das Traumobjekt des damals schon flamboyanten Unternehmers R. E. "Ted" Turner. Womit sollte er denn 24 Stunden lang seinen Sender füllen, ätzte man, so viel würde doch auch in den USA nie passieren. Vom mangelnden Geld und mangelnden Zuseherinteresse ganz zu schweigen.

"CNN kränkelt dahin", schrieb die New York Times prompt schon im Juni 1982. Doch immerhin hatte sich CNN damals bereits als beachtenswertes Fernsehnetz etabliert. Vor allem das Attentat auf Ronald Reagan am 30. März 1981 und die nahtlose Berichterstattung über seinen Gesundheitszustand brachten dem Sender erstmals hohe Quoten, profitabel wurde er aber erst vier Jahre später.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Ted Turner nicht nur einen zweiten Kanal etabliert ("Headline News") sondern sein Nachrichtenprogramm auch nach Übersee ausstrahlen lassen. Gerade rechtzeitig zum spektakulärsten Ereignis Anfang 1986: Am 28. Jänner überträgt CNN den Start einer Raumsonde. Nur 73 Sekunden nach dem Start explodiert die "Challenger" in einem riesigen Feuerball, alle Insassen kommen uns Leben. Eine gebrochene Nation trauert. CNN sorgt dafür, dass die ganze Welt die Tränen zu sehen bekommt.

Der Nachrichtensender hatte sich unterdessen zu mehr als nur einem Emotionsüberbringer gemausert. In allen Staatskanzleien Europas, Afrikas und Asiens war CNN das wichtigste Medium, aus dem ursprünglich belächelten Programm wurde eine Art "Weltdiplomat". Wer immer eine bedeutende Botschaft zu übermitteln hatte, bediente sich CNN.

Am augenscheinlichsten wurde diese Rolle vor und im Golfkrieg. Die amerikanische Seite machte aus CNN ein Sprachrohr ihrer Strafexpedition, gleichzeitig missbrauchte der Irak den Sender als Propagandainstrument. Kriege wurden - dank hoher Einschaltziffern - die beste Einnahmequelle: In Europa war es vor allem der Zerfall von Jugoslawien von dem, sobald das US-Militär involviert war, CNN buchstäblich profitierte.

Wenn das Blut am Kriegsschauplatz vertrocknete, griff CNN nach anderen publikumswirksamen Tragödien: Erst wurde der Mord-Prozess gegen O. J. Simpson, den Football-Star, bis zum Gehtnichtmehr ausgewalzt, danach setzten die "Newsmacher" auf die nicht enden wollende Seifenoper mit Bill Clinton und Monika Lewinsky. Ohne Krieg und ohne Sex ist nicht viel Staat zu machen - das muss CNN nun gerade in seinem 20. Jahr schmerzhaft erfahren: Die Einschaltziffern sind wieder einmal am Tiefpunkt angelangt. Dazu kommt, dass auch die Konkurrenz nicht schläft: Mittlerweile gibt es drei 24-Stunden Nachrichtensender, dazu das Internet . . .

Dass sich der Medienmulti Time-Warner CNN vor drei Jahren unter seine Fittiche holte (beide sind mittlerweile vom Internetaufsteiger AOL geschluckt worden), gibt dem Nachrichtensender aber zumindest den finanziellen Polster, sich auch auf absehbare Zeit "The World's News Leader" nennen zu können.

Eugen Freund ist ORF-Bürochef in Washington.