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Karl Popper (li.) gegen Sigmund Freud. Für Kritik an der Psychoanalyse wird gerne auf den Philosophen zurückgegriffen. Dass Popper Freud sehr schätzte, wird nicht dazugesagt.

Fotos: APA/Jäger, APA/Schlager

Wien – Bei etlichen Veranstaltungen zu Sigmund Freud, dessen Geburtstag sich Samstag zum 150. Mal jährt, hat man den Eindruck, dass nichts schöner ist, als über Freud herzuziehen. Ihm Unwissenschaftlichkeit vorzuwerfen, scheint dabei von besonderem Reiz zu sein. Deshalb muss, wann immer es um Freuds Forschungsqualität geht, Karl Popper herhalten. Denn der hat mit Kritik an Freud und der Psychoanalyse nicht gerade gespart.

In Poppers Werk sind viele Stellen, in denen er erklärt, dass das, was Freud produziert hat, keine Wissenschaft sei: "In Wirklichkeit", schreibt er etwa in Vermutungen und Widerlegungen, habe die Psychoanalyse "mehr mit primitiven Mythen" als mit Naturwissenschaft gemeinsam. Denn es gebe kein menschliches Verhalten, das sich nicht mit Psychoanalyse erklären lasse.

Der Mann, der sein Kind ertränken will, passt genauso in ihr Bild wie derjenige, der ins Wasser springt, um besagtes Kind zu retten. Für beide Verhaltensweisen habe Freud Erklärungen parat, argumentiere mit ödipalen Konflikten, Neurosen und ähnlichem – das sei zu viel des Guten. Wo alles erklärt werden kann, so letztlich zur Bestätigung einer Theorie wird, ende die Wissenschaft. Dennoch ist Poppers Kritik an Freud nicht der "Fundamentalangriff", als der er gerne gelesen wird – weil der Verweis auf den nicht-wissenschaftlichen Charakter der Analyse keineswegs einer Bankrotterklärung gleichkommt.

Keine Verbesserungen

Poppers kritische Auseinandersetzung mit Freud war notwendig, da es der Vater der Psychoanalyse verabsäumt hatte, seine Thesen durch Kritik zu verbessern. In Poppers Analyse zu Freuds Die Traumdeutung schreibt der Philosoph: "Ich jedenfalls bin davon überzeugt, dass es eine Welt des Unbewussten gibt und dass Freuds Traumanalysen, wie er sie im Buch darlegt, im Wesentlichen korrekt sind, wenn sie sicher unvollständig und notwendigerweise etwas einseitig sind." Die Traumdeutung enthalte "einige große Entdeckungen", wie überhaupt "Freuds Theorie die bei Weitem klarste und überzeugendste" unter allen psychoanalytischen Theorien sei, zu denen Popper kurzerhand auch die Individualpsychologie Alfred Adlers zählt.

---> Methodische Probleme, nicht inhaltliche

Karl Poppers Probleme mit Freud sind also nicht inhaltlicher Natur – was von all jenen übersehen wird, die mit der vermeintlichen Popper-Keule zum "Freud-Bashing" ausholen – sondern methodischer: Freud neigte bedauerlicherweise dazu, immer alles als Bestätigung seiner Theorien zu sehen, statt so etwas wie Falsifikationen (empirische oder logische Widerlegungen) zuzulassen. Selbst Alb- und Angstträume werden, ganz der Theorie der Traumdeutung entsprechend, als Wunscherfüllung gedeutet, statt sie als nicht passend oder als Widerspruch zu sehen.

Dabei wusste Freud nur zu genau, dass die Integration des Angsttraums in die Traumtheorie nicht wirklich funktionierte: In seitenlangen Textanalysen weist der Philosoph dem Psychoanalytiker nach, dass dieser am Ende selbst nicht mehr glaubte, dass der Angsttraum eine Wunscherfüllung ist. Still und heimlich war Freud nämlich dazu übergegangen, den Angsttraum dem Phänomen Angst zuzuordnen und "aus dem psychologischen Rahmen der Traumdeutung" herauszunehmen.

Statt dies klar auszusprechen, machte Freud jedoch eine "konventionalistische Wende" – er versuchte erst Recht, Gegenbeispiele zu seiner Traumtheorie zu Bestätigungen derselben zu machen. Etwa, indem er die Idee des "Gegenwunschtraums" einführte: Diese besteht darin, dass sich die Patienten des Analytikers wünschen, dass dessen Theorie bezüglich des Traums als Wunscherfüllung falsch ist. Gezielt haben sie deshalb wunschlose Träume – die dann aber eben doch, so die Freud'sche Logik, wieder Wunscherfüllungen sind.

Solche Drehungen sind für Popper Freuds Schwachpunkt: Hätte er stattdessen vor dem Hintergrund des Problems Angsttraum eine alternative Traumtheorie entwickelt, hätte er einen Schritt in Richtung Wissenschaft vollzogen, der folglich ausblieb.

Nichtsdestotrotz, macht Popper klar, sei die Traumdeutung eine große Leistung. Dass sie "mehr den Charakter des Atomismus vor Demokrit" habe, bringe sie darum, eine überprüfbare Wissenschaft zu sein, schmälere aber nicht ihren Wert. Denn Mythen könnten durch Weiterentwicklung Wissenschaft werden – eine Option, die der Psychoanalyse noch offen steht.

Und überhaupt kämen nicht alle guten Ideen allein aus der Wissenschaft: Auch sein eigenes philosophisches Denken, betont Popper, sei keine überprüfbare Wissenschaft. Wertlos, daran lässt der Philosoph keine Zweifel, sei es deshalb aber noch lange nicht. (Christian Eigner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4. 5. 2006)