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Liese Prokop unter Kritik: Experten halten die Studie des Innenministeriums für "verantwortungslos und unprofessionell"

Foto: APA/Gindl
Wien - "Ich war wirklich schockiert. Solche Aussagen sind verantwortungslos und unprofessionell." Migrationsforscherin Barbara Herzog-Punzenberger von der Akademie der Wissenschaften meint Innenministerin Liese Prokops Aussagen über Muslime in Österreich (Wissen). Besonders kritisiert sie im STANDARD-Gespräch, dass ein "Thema dieser Tragweite, wie es Integration ist, auf diese Weise in die Öffentlichkeit getragen wird".

Prokop hatte in der Tiroler Tageszeitung aus einer "Studie über die Muslime in Österreich" berichtet: "Herausgekommen ist, dass 45 Prozent nicht an einer Integration interessiert sind. Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht Verhältnisse wie in Frankreich oder in Berlin bekommen." Diese "Zeitbombe" habe Europa "bisher verschlafen".

Staatssekretariat für Integration

Wenn Europa etwas verschlafen habe, kontert Herzog-Punzenberger, dann "in den meisten Fällen die Entwicklung institutioneller Kompetenzen", etwa ein Staatssekretariat für Integration - "aber nicht im Innenministerium".

Prokop will jetzt den Integrationsfonds massiv aufstocken: "Klar muss aber auch sein: Wer sich nicht integrieren will, hat bei uns nichts zu suchen. Wir zwingen niemanden, dass er herkommt."

"Sicherheitsakademie"

Die Zahlen bezog Prokop aus einer noch unter Verschluss gehaltenen Studie, die von der im Innenministerium angesiedelten Sicherheitsakademie durchgeführt wurde.

Prokops Sprecher Johannes Rauch zufolge soll die Studie, in der 500 Muslime mit Migrationshintergrund telefonisch und 100 persönlich befragt wurden, Ende Mai fertig sein. Schon jetzt lasse sich sagen, dass 20 Prozent der Muslime aufgrund ihres religiösen Hintergrunds Schwierigkeiten mit der Integration hätten, weitere 25 Prozent wegen des kulturellen Hintergrunds.

Ganz andere Ergebnisse

"Wie wurde mit welchen Indikatoren gemessen?", fragt sich Herzog-Punzenberger, die gerade an einer Studie über die Integration der zweiten Generation in Europa arbeitet. Eine große EU-Integrationsstudie sei "zu ganz anderen Ergebnissen gekommen" als jene des Innenministeriums, an der die Migrationsexpertin die "Gleichsetzung von Glaube mit irgendwelchen Eigenschaften oder Integrationswilligkeit" kritisiert.

In der Migrationsforschung seien andere Indikatoren üblich: "Will ich mich integrieren oder nicht, ist eine sinnlose Frage. Integration ist ein komplexer Prozess über Generationen. Dazu muss man sich Arbeitsmarkt, Bildungssystem, Wohnverhältnisse ansehen. Diese Strukturen sind wichtig für Integration", sagt die Expertin. In der EU-Studie seien die "schlimmen Wohnverhältnisse ganz stark angesprochen worden. Wie soll sich jemand integriert fühlen, für den bestimmte Wohngebiete Sperrgebiet sind?"

Integration oder Assimilation

Auch der Integrationsbeauftragte der islamischen Gemeinschaft, der Wiener SP-Gemeinderat Omar Al-Rawi, konnte Prokops Zahlen "nicht nachvollziehen", es sei zu fragen, ob es um Integration oder Assimilation gegangen sei.

SPÖ, BZÖ und FPÖ sahen ein Versagen der Innenministerin im Bereich der Integration, die Grünen warfen Prokop Diffamierung von Ausländern vor. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.5.2006)