Nenning begann seine journalistische Laufbahn beim steirischen SPÖ-Organ "Neue Zeit".

Foto: STANDARD/Corn

Bild nicht mehr verfügbar.

2003 bei der Präsentation seines Buches "Eine Krone bitte - Die Kronen Zeitung muss österreichisch bleiben".

Foto: Reuters/Föger

Kreiskys "Wurstel", der lebenslang umstrittene Publizist, Gewerkschafter und "Urvater" der heimischen Grünen, ist in der Nacht auf Montag in seinem Tiroler Alterssitz an den Folgen eines Sturzes gestorben. Zuletzt mit der Affäre um den "Austrokoffer" österreichischer Literatur präsent, hat er das Land seit Jahrzehnten polarisiert.

***

In seiner letzten Lebensphase sorgte Günther Nenning in den zahlreichen intellektuellen und politischen Milieus, die er Jahrzehnte lang zu heftigen Reaktionen provoziert hatte, kaum noch für Aufregung. Seine späte Identität als volkstümelnder Krone-Kolumnist und von der Regierung beauftragter austro-literarischer Landvermesser könnte Jüngere aber übersehen lassen, dass der in der Nacht auf Dienstag im 85. Lebensjahr verstorbene Publizist und Aktivist die österreichische Zeitgeschichte in drei Jahrzehnten, von den 60ern bis in die 80er-Jahre, wesentlich mitgeprägt hat.

In der Entwicklung der sich immer wieder neu erfindenden öffentlichen Person Günther Nenning, bei der nur wenig – etwa sein Nonkonformismus und das Bekenntnis zum Christentum – konstant blieb, lassen sich zumindest vier Phasen beschreiben:

Nenning I, in den 60er-Jahren ein eher rechter Sozialdemokrat, bot als Herausgeber des Neuen Forum allen Bewegungen Raum, für die es damals in Österreich kaum Atemluft gab: einer antifaschistischen Geschichtsaufarbeitung, dem damals aufkeimenden Dialog Christentum-Marxismus, der beginnenden sexuellen Revolution und dem Anti-Vietnam- und Anti-Kriegs-Aktivismus der 68er. Letzterer führte 1969 zu der, stark vom Forum getragenen, Einleitung eines Volksbegehrens zur Verkürzung des Wehrdienstes beim Bundesheer. Zum Volksbegehren kam es nie, doch die SPÖ erhielt für die Wende von der ÖVP-Alleinregierung zur Ära Bruno Kreiskys eine bei der Jugend bestens ankommende Wahlkampfparole: "Sechs Monate sind genug."

Nenning II war im deutschen Sprachraum eine der unterhaltsamsten TV-Persönlichkeiten mit intellektuellem Anspruch. Noch heute werden auf 3sat nach Mitternacht Sternstunden dieser goldenen Fernsehära wiederholt, etwa der Club 2 aus dem Mai 1978, in dem Nenning mit Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit und einem Springer-Journalisten diskutierte. Von 1976 bis 1985 leitete Nenning Club-2-Sendungen, später noch Talkshows in der ARD, wo seine Art, die extrem hingelümmelte Ösi-Lässigkeit ("Red's noch ein bisserl, gell?) mit Marx-, Marcuse- und Bibelzitaten zu spicken, durchaus ankam. Gleichzeitig war er (schon seit 1960) Vorsitzender der Journalistensektion in der Gewerkschaft, unter Kollegen stets umstritten, von den Herausgebern – etwa beim berühmten Krone-Streik – aber als ernst zu nehmender Verhandler respektiert.

Nenning III betrat 1984, als Auhirsch verkleidet, die politische Szene. Gemeinsam mit Freda Meissner-Blau und anderen trat er gegen das geplante Donaukraftwerk bei Hainburg auf, prangerte Polizeiübergriffe an und bezeichnete einen NÖ-Landesrat als "Umweltverbrecher". Die SPÖ, gegen deren Linie er oft opponiert hatte (Kreisky nannte ihn deshalb einen "Wurstel", Beton-Sozialisten betrachteten ihn wegen seiner Gegnerschaft zum AKW Zwentendorf als Feind) warf ihn aus der Partei, der ÖGB folgte nach.

Nenning IV wurde zunächst immer grüner, fand privat neue Beziehungen. Als Buchautor, der früher über die Zukunft der Sozialdemokratie ("Öffnung oder Untergang", 1965, "Rot und realistisch", 1974) geschrieben hatte, wandte er sich nun Themen wie Andreas Hofer zu und gestaltete ein Buch über "Schlafzimmerbilder" ("Hirsche röhren, Elfen tanzen, und Jesus klopft an die Tür").

Als Kolumnist in österreichischen Zeitungen, zeitweise auch im STANDARD, wandte sich Nenning gegen die "Denunziation Haiders als Supernazi" und prophezeite 1995, dass diese zu einer "Schüssel-Haider-Kombination" führen werde. Plötzlich war Nenning dem früheren publizistischen Erzgegner Hans Dichand sehr nahe gekommen – so nah, dass der Krone-Herr dem zuvor als "Links-Linken" Gebrandmarkten eine Kolumne einräumte. Kopfschüttelnd mussten seine früheren Weggefährten 2003 miterleben, wie Nenning seiner letzten Wandlung im Büchlein "Eine Krone bitte" selbige aufsetzte. "Der einst achtbare Publizist Günther Nenning" urteilten die Salzburger Nachrichten, "erhöht... Hans Dichand zu einer gottähnlichen Gestalt."

Vorzugsschüler

Günther Nenning, Aufklärer, Wurstel und Chamäleon, wurde am 23. Dezember 1921 in Wien geboren. Seine Eltern waren Sozialdemokraten, Vater Walter war Gemeindebeamter, Mutter Irene Hausfrau. Einzelkind Günther brillierte im Gymnasium auf der Stubenbastei als Vorzugsschüler, wurde dann aber in die Nachrichtentruppe der deutschen Wehrmacht zum Kriegsdienst eingezogen. Aus der amerikanischen Gefangenschaft entlassen, nahm er in Graz Studien der Sprach- und Religions- sowie der Politikwissenschaften auf, die er mit Dissertationen ("Über das Ich-Tabu im Indogermanischen", "Zur Frage der Semasiologie [Bedeutungslehre] bei Marx und Engels") abschloss.

Wende nach links

Von 1948 bis 1958 arbeitete er für die Grazer Parteizeitung Neue Zeit und setzte sich für eine offenere SPÖ ein. Anschließend ging er zu Friedrich Torbergs kulturpolitischem Monatsmagazin Forum nach Wien. 1965 zum Eigentümer geworden, wandelte Nenning die Zeitschrift in das zunehmend nach links ausgerichtete Neue Forum um, das zur wichtigsten Publikationsplattform der 68er in Österreich wurde.

1970 übergab er das Blatt ins Eigentum der Redakteure und Angestellten. Er selbst versuchte 1973 mit einem jungen Team, das den klösterlichen Ernst der Forum-Autoren durch bunte Spontanität ersetzte, mit der Zeitschrift Neue Freie Presse nochmals durchzustarten. Mit dem Nacktbild Nennings im Kreis der Redaktion sorgte die "Unabhängige Zeitschrift für Abhängige" für gehöriges Aufsehen, doch bereits zwei Jahre später ging sie wieder ein.

Besonders groß war der Wirbel damals deshalb, weil Nenning als so genannter "Präsident der Journalistengewerkschaft" (in Wahrheit nur Vorsitzender einer kleinen Sektion in der Gewerkschaft für Kunst, Medien und freie Berufe) im Land das Ansehen eines gewählten Spitzenvertreters der Intellektuellen hatte. (Tatsächlich hat nach ihm niemand aus dieser Funktion ähnliches Prestige bezogen.)

Die nähere Bekanntschaft des Nachrufautors mit "dem Günther" geht ebenfalls auf Gewerkschaftsaktivitäten zurück. Als Kandidat einer Liste junger Journalisten bin ich in den 70er-Jahren bei Wahlen gegen ihn angetreten. Als ihm die Kunstgewerkschaft 1985 ein Ausschlussverfahren anhängte, nahm sich Nenning Elmar Oberhauser vom ORF und mich als seine Verteidiger. Verhindern konnten wir seinen Hinauswurf (wegen Kompetenzüberschreitung, laut Nenning aber als "Rache für Hainburg") jedoch nicht. Erst Jahre später wurde er von ÖGB und SPÖ rehabilitiert. (DER STANDARD; Printausgabe, 17.5.2006)