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Wien - Während die USA noch immer global denken, ist Europa mehr mit seinen eigenen regionalen Problemen beschäftigt, meinte der US-amerikanische Historiker Richard Pells am Montag bei einem Vortrag über "Amerikanisierung und Anti-Amerikanismus" in Wien. Daher rühre eine unterschiedliche Auffassung über das, was wichtig sei, so Pells.

Das gespaltene Verhältnis Europas und der USA zueinander rühre aus der Geschichte her. Amerika war für Europa immer viel mehr als ein Staat, es sei "ein Symbol für Ängste und Fantasien, ein Sinneszustand" gewesen. So hätte im Dialog der beiden untereinander mehr "ein Austausch von Metaphern stattgefunden als ein richtiger Informationsaustausch". Die Europäer hätten Amerika seit dem 19. Jahrhundert als materialistisch, kultur- und seelenlos angesehen, während die Amerikaner die Europäer als dekadent, ideologisch und zynisch betrachtet hätten. Dennoch wären beide Seiten voneinander fasziniert gewesen.

"Ernüchterung über die USA"

Seit Beginn des Irak-Krieges habe sich in den vergangenen drei Jahren die Beziehung zwischen den USA und Europa sehr verschlechtert, es sei in Europa "eine Ernüchterung über die USA" eingetreten. Pells verwendete für die Beziehung der beiden Kontinente zueinander die Metapher eines "Familienstreits". So bestünden Familien aus Eltern und Kindern, dabei hätten die Kinder oft das Gefühl, von den Eltern enttäuscht oder sogar verraten zu werden.

Die Frage sei nur, "wer dabei die Rolle der Eltern und wer die des Kindes innehätte". Pells vertrat die Ansicht, sowohl die USA als auch Europa würden in ihrem Verhältnis zueinander abwechselnd beide Rollen einnehmen. So hätten europäische Staaten, wie etwa Frankreich, das Gefühl, von den Vereinigten Staaten nicht ernst genommen zu werden, während andererseits die Vereinigten Staaten im Bezug auf Kenntnisse über die Welt oft "unwissend bis geradezu naiv seien".

"Rolle des Sündenbocks"

In einer Familie würde oft ein Mitglied "die Rolle des Sündenbocks" einnehmen. In den Augen der Europäer dienten die USA "als Sündenbock für alles, was schief ginge", so Pells. Manche US-"Politik-Macher" hätten eine "messianische Weltanschauung", was an sich ja ein "edles Konzept" sei, sagte Pells und zitierte in diesem Zusammenhang aus Graham Greenes 1955 erschienenem Buch "The quiet American". Darin heißt es über die Titelfigur "I never knew a man who had nobler motives for all the trouble he caused" ("Ich habe nie einen Menschen kennen gelernt, der edlere Motive für die ganzen Probleme hatte, die er verursachte"). Laut Pells schildert dieses Buch heutzutage ganz aktuell das Auftreten Amerikas in der Welt und die Reaktionen der Europäer darauf.

Der Familienstreit werde weitergeführt werden, war sich Pells sicher. Europa und die USA seien jedoch weder Eltern noch Kinder zueinander, sondern "Geschwister", die beide oftmals vergessen hätten, dass sie "längst erwachsen geworden seien" und in kultureller, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht gegenseitig voneinander abhängig seien. (APA)