Mit einer Podiumsdiskussion, die wichtige Probleme der Prostituierten zur Sprache, aber nicht zu einer Lösung brachten,
endete am Montagabend in Berlin das fünftägige "Kult-Hur-Festival 2000". Bereits der Auftakt am Donnerstag vergangener
Woche zeigte die zwiespältige Einstellung zu dieser Berufsgruppe, die offiziell keine ist.
"Gott liebt uns alle!", hieß es in der Erklärung - die Veranstalterinnen wollten ihren Weltkongress in der evangelischen
Emmaus-Kirche in Berlin-Kreuzberg eröffnen. Doch als der Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, davon erfuhr,
schob er der Sache einen Riegel vor. Der Seelsorgeauftrag der Kirche gelte zwar auch Prostituierten, versicherte er. Es sei
aber mit der Würde jeder Frau unvereinbar, dass ihr Körper zur käuflichen Ware gemacht wird. Daher könne die Kirche
"Prostitution nicht als einen normalen Beruf betrachten, wie es Absicht des Kongresses ist".
Kirchenbesetzung
Der Anlass des Festes liegt 25 Jahre zurück: Am 2. Juni 1975 besetzten Prostituierte die Kirche Saint-Nizier in Lyon, um
gegen ihre diskriminierenden Arbeits- und Lebensbedingungen zu protestieren. "Die Kirche ist tatsächlich ein Haus für alle",
erklärte Pfarrer Père Béal. Eine Woche später wurde die Kirche von der Polizei geräumt. Seither organisierten sich
Prostituierte in vielen Ländern in Selbsthilfeprojekten. Der 2. Juni wurde zum Internationalen Hurentag erklärt.
"Hure ist nur unser Beruf. Im Privatleben sind wir Hausfrauen, Mütter, Geliebte", sagt eine Teilnehmerin des Kongresses. Auf
der Webseite der Veranstalterinnen ist zu lesen: "Huren sind Grenzgängerinnen, Gratwanderinnen. Sie heißen willkommen,
beurteilen nicht, sind zärtlich zu den Ungeliebten, heilend für Leib und Seele. Wo Gesellschaften versagen, können sie
Wärme geben." Mit einem veränderten Selbstbewusstsein nennen Prostituierte sich heute "Sexarbeiterinnen".
Rechtsfreier Raum
Die Hurenverbände wollen, dass Prostitution rechtlich mit anderen Berufen gleichgestellt wird. "Die Frauen sollen
menschenwürdig arbeiten können", sagt Regine Laaser, Mitarbeiterin des Berliner Prostituiertenprojektes "Hydra". Solange
Prostitution als sittenwidrig stigmatisiert wird, arbeiten die Frauen in einem rechtsfreien Raum. Sie müssen Steuern bezahlen,
können sich aber nicht gegen Arbeitslosigkeit versichern; ihre Rentenversicherung ist privat und keine deutsche
Krankenkasse nimmt bisher Prostituierte auf. Sie können nicht einmal einen Freier verklagen, wenn er den vereinbarten Lohn
nicht zahlt.
Eine Studie des Sozialpädagogischen Instituts in Berlin ergab, dass eine Prostituierte im Schnitt monatlich 2000 D-Mark
(14.000 S/1022 EURO) im Portemonnaie hat. Die Geschichte vom "leicht verdienten Geld" ist demnach eine Legende.
Außerdem, so die Studie, empfindet die Hälfte der Prostituierten Ekel vor und Hass gegen die Freier, ein Drittel hat Angst vor
Aids. Nach fünf Jahren sind die meisten ausgebrannt, verdienen deshalb nur noch schlecht und hören auf. Ohne Ersparnisse
und Anspruch auf Arbeitslosengeld bleibt den Aussteigerinnen meist nur die amtliche Sozialhilfe.
Keine EU-Einigkeit
In der EU regelt weiterhin jedes Land Prostitution nach seiner eigenen Fasson. In Österreich ist Prostitution gesetzlich
erlaubt. In Schweden werden seit vergangenem Jahr nicht mehr die Prostituierten, sondern die Freier bestraft. In der Schweiz
gibt es seit kurzem das erste legale Bordell. Und in Berlin sorgte im vergangenen Monat ein Richterspruch für Aufsehen, der
einer Bordellchefin erlaubte, ihr Etablissement vorerst weiterzuführen.
Dort arbeiten die Huren ohne Zwang: Für 60 Mark die Stunde können sie ein Zimmer mieten. Sie kommen nach Belieben und
entscheiden selbst, mit wem sie sich einlassen. Der Fall könnte zum Vorbild für ganz Deutschland werden.
Regine Laaser wünscht sich außer sozialer Sicherstellung ein neues Berufsprofil von Prostituierten: ein selbstbestimmtes
Arbeiten mit der Sexualität von Männern, das nicht zwingend einen sexuellen Akt beinhaltet. Sie zitiert die Hetären im antiken
Griechenland, die käufliche Geliebte und geheiligte Freundin zugleich waren.
Letztlich wurde den Teilnehmerinnen des Hurenkongresses in Berlin doch noch ein Gotteshaus geöffnet. Der Superintendent
des Kirchenkreises Stadtmitte und der Gemeindepfarrer ließen die Frauen eine spontane Andacht abhalten.
(Rebecca Hillauer aus Berlin)