Wolfgruber: Wir haben für zeichensetzen.at von den Mitgliedern viel direkte Kritik per Mail bekommen. Da waren einige nicht einverstanden mit Forderungen wie zum Beispiel der Frauenquote. Viele haben auch einen Machtverlust befürchtet, falls es zu einer - von uns geforderten - Entflechtung von Politik und Gewerkschaft kommen sollte. Eine Funktion im Nationalrat und eine Spitzenfunktion im ÖGB wäre unserer Meinungen nach nur vereinbar, wenn es den Clubzwang nicht gäbe.
Ein Grund für die geringe Unterstützung, der nicht zu vernachlässigen ist, ist meiner Meinung nach auch, dass nachzulesen ist, wer unterzeichnet hat. Und die Menschen haben einfach Angst. Ich habe auch läuten gehört, dass kontrolliert wird, wer unterzeichnet und wer nicht. Das macht die Leute mundtot.
derStandard.at: Der ÖGB scheint Ihre Forderungen nicht allzu ernst zu nehmen. Sie verlangen die politische Unabhängigkeit des ÖGB, Hundstorfer soll in Wien bei den Nationalratswahlen antreten. Hat der ÖGB nichts gelernt?
Wolfgruber: Der ÖGB kann anscheinend nicht lernen. Unsere Forderungen sind ja nicht neu. Ich habe Papiere aus den 90er Jahren gefunden, in denen unabhängige GewerkschafterInnen die Kritik, die jetzt wieder formuliert wird, schon vorweggenommen haben.
Die Moral und Verantwortungsethik in der Führungsspitze lässt einfach zu wünschen übrig. Das Ganze ist mittlerweile ein Moloch geworden, in dem fahrlässige und moralisch verwerfliche Politik betrieben wird. Funktionäre erwarten sich über die Gewerkschaft sozialen Aufstieg, auf diesem Weg geht die Solidarität verloren - sie passen sich an, werden starr und phantasielos. Sie nutzen ihre Privilegien aus und vertuschen das. Selbstkritik ist im ÖBG eine rare Ware. Man müsste auch unbedingt über betriebswirtschaftliche Kompetenz der ÖGB-Spitze diskutieren.
derStandard.at: Soll Hundstorfer zurücktreten?
Wolfgruber: Wir "ZeichensetzerInnen" haben keine gemeinsame Meinung zu diesem Thema, aber viele von uns glauben, dass Hundstorfer zurück treten sollte. Das wäre eine Möglichkeit der Erneuerung. Schließlich sind jetzt wieder nur die Leute an der Spitze, die schon vorher die Blockierer jeglicher Reformen waren. Die vorher schon jahrzehntelang zugeschaut und eine reaktionäre Politik betrieben haben. Das ist keine Gewerkschaftspolitik.
Außerdem ist erstaunlich, dass bei Hundstorfer auch jegliches Schamgefühl zu fehlen scheint. Wenn ich sagen müsste: "Verzetnitsch hat mich gelegt", würde ich sofort zurücktreten. Ich würde mich nicht so missbrauchen lassen. Wie soll er nun noch glaubwürdig den ÖGB neu gestalten?
derStandard.at: Wird Ihre Initiative in reale Reformen eingebunden?
Wolfgruber: Nein, eigentlich nicht wirklich. Wir kritischen GewerkschafterInnen wurden im ÖGB noch nie wirklich ernst genommen. Aber steter Tropfen höhlt auch den Stein und zeitverzögert steht nun das zur Diskussion, was kritische Menschen im ÖGB schon immer kritisiert haben.
derStandard.at: Was sagen Sie dazu, dass zwar die Steuerzahler zur Rettung des ÖGB zur Kasse gebeten werden, jedoch Ex-Bawag Chef Elsner durch einen Erlass des Finanzministeriums davor bewahrt wird, Steuern in Millionenhöhe für seine vorzeitig kassiert Pension zurückzahlen zu müssen?
Wolfgruber: Die Kleinen bittet man zur Kasse, die Großen lässt man laufen, das war schon immer so. Dass das auch für den ÖGB gilt, ist einfach beschämend. Die grundsätzliche Aufgabe der Gewerkschaftspolitik sollte es sein, zu kämpfen und für die Benachteiligten einzustehen. Aber der ÖGB hat sich leider in der letzten Zeit überhaupt nicht mehr mit den gesellschaftlichen Veränderungen am Arbeitsmarkt beschäftigt und sich höchstens für die Gruppe der fest angestellten 40 Stunden-Job-Inhaber eingesetzt. Wie soll man eine Gewerkschaft, die sich nur mehr um tarifliche Belange kümmert, ernst nehmen.
derStandard.at: Ist der ÖGB überhaupt noch zu retten?