Tadellos hat der Torhüter die Rolle als Nummer zwei hinter Jens Lehmann in den vergangenen vier Wochen ausgefüllt. Vor dem Polen-Spiel gab er aber zu, dass er über sich selbst erstaunt ist. "Es ist für mich selbst überraschend, dass ich so engagiert an diese Sache herangehe", erklärte der Kapitän des Double-Gewinners FC Bayern. Dass ihn Teamchef Jürgen Klinsmann am 7. April zum Ersatzmann degradiert hatte, versteht der "Titan" jedoch bis heute nicht.
"Das war ein schwieriger Moment, einer der einprägsamsten in meinem Leben überhaupt, wenn dir jemand sagt, und zwar völlig überraschend, dass du nicht die Nummer eins bist." Zwei Jahre habe er von der "körperlichen und mentalen Seite" alles dafür getan, um in der Heimat im deutschen Tor zu stehen. Alles nahm er in Kauf - die Absetzung als Kapitän, den Rauswurf seines Trainer Sepp Maier, die anfängliche Rotation mit Lehmann -, um am 9. Juli in Berlin die WM-Trophäe in Händen zu halten.
"Es wäre nach der Systematik meiner Karriere eigentlich logisch gewesen, jetzt 2006 Weltmeister zu werden", meinte der Vizeweltmeister von 2002. Jetzt muss er bei seinem vierten WM-Turnier darauf warten, dass irgendetwas Unvorhergesehenes mit Lehmann passiert - auch wenn er öffentlich betont, dass er seinem Rivalen von Arsenal während der Endrunde weder eine Verletzung noch einen Ausschluss wie im heurigen Champions League-Endspiel wünsche. Doch für den Fall der Fälle will er gerüstet sein.
Daher quält sich Kahn durch das für ihn neue Spannungsfeld und gibt in jedem Training Gas wie eh und je. In Trainingsspielchen treibt er seine Vorderleute immer noch am lautstärksten an, er ist lockerer, umgänglicher für die Teamkollegen geworden und auch wieder zu Späßchen aufgelegt. "Würde ich spielen, wäre ich kaum ansprechbar und permanent fokussiert und ließe ich mich kaum ablenken", gibt der Torhüter zu.