Es ist eine irritierende Tatsache, daß wir als Artgenossen noch nicht begonnen haben, einander als Menschen zu sehen, die miteinander leben müssen, während wir nach den entferntesten Planeten begierig Ausschau halten und während wir uns entweder dem Wunder oder der Bedrohung des neuen Jahrtausends nähern (in dem die Menschen sich selber auslöschen oder den höchsten Entwicklungsstandard erreichen können).

Menschliche Geschichte währt bereits mehrere hunderttausend Jahre und noch immer beäugen wir einander argwöhnisch - als hätten wir in all diesen Millennien des Zusammenlebens nicht gelernt, daß wir alle bloß Menschen sind, daß sich neben unseren unterschiedlichen Hautfarben ganze Kontinente ähnlicher Sehnsüchte und eruptiver Träume befinden, die Universen an Gedanken ausstreuen, archaische Zwänge, Blitze und eine ewige Blüte von Blumen.

Es ist befremdend, denn scheinbar ist neben dem Hader unserer Zeit, Vernichtungskrieg, Stammesfehden, religiöser Intoleranz, Rassenhaß, dem Streit der Geschlechter, neben all diesen Auswüchsen die selbstverständlichste Entdeckung, daß wir alle Menschen sind und daß das Leben heilig ist.

Wir haben noch nicht entdeckt, was es bedeutet, Mensch zu sein. Und es scheint, daß diese gewöhnliche Entdeckung die erhabenste ist, die gemacht werden kann - denn wenn wir einmal gelernt haben, was es bedeutet, Mensch zu sein, wenn wir es erlitten und erliebt haben, dann werden wir unseren wahren Zustand erkennen, wir werden wissen was es heißt, frei zu sein, und wir werden wissen, daß Freiheit erst der Anfang unserer wechselseitigen Bestimmung ist.

Viele Entdeckungen wurden durch die Geschichte unterbrochen, Entdeckungen, die zu fundamentalen Prinzipien hätten führen können, welche all die oberflächlichen Unterschiede von Haut, Religion, Klasse und Geschlecht, mit denen wir unser Leben belasten, vernichten würden. Europa unterbrach einige der mythischen Träume und die psychischen Entdeckungen an Orten in Afrika und Indien und leugnete dann die Existenz ihrer gemeinsamen Wege.

Es war nicht immer so: Eine Zeitlang faszinierten diese Orte Europa durch ihre tiefen Mysterien. Die Kolonisation von Afrika und die nachfolgende Darstellung, weit weg vom Triumph der Gier über die Menschlichkeit, war der Triumph des Rationalismus über das Unterbewußtsein. Dieser Triumph, wie jeder Psychoanalytiker bestätigen würde, ist kurzlebig und letztlich zerstörerisch. Die Träume der Welt sind aufrührerischer, wenn sie unterdrückt werden.

Neben der Verwunderung der Seelen ganzer Kontinente verursachte der Kolonialismus - paradoxerweise - auch eine glückliche Fügung. Er brachte Menschen auf eine Weise zusammen, wie dies sonst Jahrhunderte lang nicht geschehen wäre.

Ein Beispiel dieses Vorgangs: Britannien begann die halbe Welt zu kolonialisieren und findet jetzt die halbe Welt auf seinem eigenen Territorium und in seiner Geschichte wieder, was sachte dessen eigene Psyche ändert. Solche Entwicklungen wirkten in beide Richtungen.

Es ist interessant, manche Menschen über diese Erscheinungen klagen zu hören, Stellungnahmen über das Festhalten an der Reinheit der Rasse zu vernehmen. Tatsache ist, daß in der Natur allem reinrassig Organischen bloß eine kurze Geschichte beschieden ist. Die Besessenheit von der Reinheit des Blutes hat staatliche Gebilde zum Verschwinden gebracht. Wir alle sind Mischungen, und unsere Wurzeln beziehen ihre Kraft aus verschiedenen und vergessenen Quellen. Die Yorubas in Nigeria meinen ihre Wurzeln im Mittleren Osten finden zu können; manche Anthropologen behaupten, daß die wahren Eingeborenen von Afrika die Buschmänner der Kalahari sind; die Engländer sind eine Mischung aus Kelten, Wikingern, Briganten und vielen anderen; die alten Ägypter setzten sich aus Schwarz- und Hellhäutigen zusammen.

Wir stehen an der Schwelle eines neuen Zeitalters. Die gewaltige Verantwortung unserer Zeit lastet nicht nur auf der Macht der großen Nationen der modernen Welt, sondern auch auf der Vielzahl kleiner Völker, deren alte Träume von Vernichtung bedroht sind. Die Verantwortung der Ungeschätzten, der Ungehörten, der Stillen ist größer denn je. Und die Last dieser Verantwortung beruht auf einer einzigen Tatsache: Wir kämpfen im Wesentlichen um die Erhaltung der Humanität in der Welt. Wir kämpfen, um die Welt einer wichtigeren Bestimmung zuzuführen. Wir kämpfen für Gleichheit und Gerechtigkeit.

Nicht die Lautstärke einer Stimme ist von Bedeutung. Es ist die Kraft, die Wahrheit und die Schönheit des Traums. Jene, die glauben, daß die alles gleich machenden Kräfte der Welt nicht ihre wertvollen Lebensräume in kleine Wüsten ohne Mysterium verwandeln werden, verdienen es, den heraufziehenden Sturm zu sehen. Jene, die in opportunistischer Stille das Heranwachsen der Tyrannei beobachten, die anschwellenden Massen der Konformen, die Bewußtsein zerbrechenden Gefängnisse, das Verschwinden von Dissidenz und die bizarren neuen Methoden der Zensur, verlangen danach, Zeugen einer Welt zu sein, die schrumpft und die ihnen die Kehlen zuschnürt.

Kein Mensch ist machtlos. Viele haben ihre Kräfte und ihren Willen nicht entdeckt und daher nie gebraucht. Es scheint ein mirakelhaftes Kunststück zu sein, aber die Wertlosen sind in der Lage, bei der Erschaffung einer neuen schönen Zeit in der Humangeschichte mitzuhelfen.

Neue Visionen sollten von denen kommen, die am tiefsten leiden und gleichzeitig das Leben am meisten lieben. Die wunderbare Verantwortung der Ungehörten und der Übersehenen wohnt diesem Paradoxen inne. Natur und Geschichte berichten nicht nur vom Überleben der Stärksten, sondern auch vom Überleben der Klügsten, der Anpassungsfähigsten und der Aufmerksamsten.

Übersetzung: Helmuth A. Niederle; Text gekürzt,
*) von 12. bis 15.4. in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur