Freetown/Den Haag – 32.000 Seiten Beweismaterial stehen dem Beginn des Kriegsverbrecherprozesses gegen Charles Taylor in Den Haag noch im Weg. So viel Material hat die Anklage der Verteidigung über den liberianischen Ex-Staatschef übergeben, wie Harpinder Athwal, politische Beraterin von Desmond da Silva, Chefankläger des Sondertribunals für Sierra Leone, gegenüber dem Standard sagte. Der Ball liege nun bei der Verteidigung, die das Material durcharbeiten müsse, bevor der Prozess beginnen kann. "Wir hoffen und erwarten das für Anfang nächsten Jahres."

Seit Dienstag sitzt Taylor im Gefängnis des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, in dem auch der jugoslawische Ex-Präsident Slobodan Milosevic inhaftiert war. Zuvor war der 58-Jährige, in Handschellen gefesselt, mit einer UN-Maschine von Sierra Leone nach Rotterdam geflogen worden.

Der frühere Rebellenführer ist in elf Punkten für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bürgerkriegs in Sierra Leone (1991-2001) angeklagt, darunter Mord, Zwangsarbeit, Rekrutierung von Kindersoldaten und sexuelle Sklaverei. Es ist das erste Mal, dass sich ein afrikanischer Ex-Staatschef für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten muss.

Zuständig für den Prozess ist nach wie vor das im Januar 2002 gegründete und von der UNO unterstützte Sondertribunal für Sierra Leone mit Sitz in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone. Eigentlich hätte Taylor dort auch vor Gericht gestellt werden sollen. Aber die Angst, der bei Teilen seiner ehemaligen Verbündeten immer noch einflussreiche Taylor könne die brüchige Stabilität in der Region erneut gefährden, war zu groß. Nun stellt der IStGH den Gerichtssaal und eine Zelle zur Verfügung, gegen Miete.

Möglich gemacht hatte diesen Schritt der UN-Sicherheitsrats am Freitag mit einer Resolution, in der Taylors Verbleib in der Region als "Hindernis für die Stabilität"und den Frieden bezeichnet wurde. London sicherte zu, dass Taylor im Falle einer Verurteilung in Großbritannien inhaftiert werden könne. Der niederländische Außenminister Ben Bot gab sich erfreut: "Dies ist ein Signal der internationalen Gemeinschaft, dass Straflosigkeit nicht toleriert werden wird."(raa, AFP, Reuters, DER STANDARD, Print, 22.6.2006)