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Hinter der schwarz-rot-goldenen Fahne sammeln Jürgen Klinsmanns Burschen die neuen Charaktereigenschaften des deutschen Fußballs.

Foto: REUTERS/Thomas Bohlen
Berlin - Europa kommt jetzt einmal aus dem Staunen kaum mehr heraus. Ein Staunen, das die niederländische Zeitung Volkskrantam Tag nach dem 3:0 über Ecuador in beinahe schwärmerische Worte gefasst hat: "Eine schwarz-weiße Glut hängt über Deutschland, da die Mannschaft dem bürokratischen Fußball abgeschworen hat. Das neue Modell steht für Leidenschaft und Abenteuer."

Genau so, mit dieser abenteuerlichen Leidenschaft, will Deutschlands Teamchef Jürgen Klinsmann auch den weiteren Verlauf des Turniers anlegen, der am Samstag um 17.00 Uhr in München gegen Schweden beginnt. "Ab dem K.o.-System ist alles auch eine Kopfsache, dazu wollen wir aber unsere Leidenschaft und die Rückendeckung durch unser Publikum in die Waagschale werfen."

Ohne sich allerdings in jener traditionellen deutschen Unart zu verlieren, die den spielerischen Spaß an der ballesterischen Freud'- und den lässt einen dieses Team eben durchaus spüren - einer gewissen Bierernsthaftigkeit zu unterziehen. Bernd Schneider, rechter Außenläufer, berichtet betont nonchalant vom Dienstagabend, als der Achtelfinalgegner ermittelt wurde. "Wir haben mit unseren Familien im Garten gesessen, der eine oder andere hat dann nebenbei das Spiel zwischen Schweden und England geschaut. "Denn, so Teamchef Jürgen Klinsmann, "uns war egal, auf wen wir treffen. Wir müssen es ohnehin nehmen, wie es kommt. Wir haben großen Respekt vor der schwedischen Mannschaft, die in Europa und der ganzen Welt ein Wort mitsprechen kann." Aber: "Aber wir gehen mit breiter Brust in dieses Spiel. "Und in der Brust wohnt die Leidenschaft, mit der man Abenteuer bestehen kann.

Zum Abenteuer der Leidenschaft gehört freilich auch eine gewisse Demut vorm Gegner, denn nur die kann garantieren, es auch überstehen zu können. Auch wenn Klinsmann erklärt, "wir konzentrieren uns eher auf die eigenen Stärken", hat er doch auch die der Schweden beim 2:2 gegen England gesehen. Bernd Schneider prophezeit: "Das wird am Samstag sicherlich eine sehr schwere und spannende Partie, weil beide Mannschaften ein hohes Tempo gehen werden. "Aber auch hier möchte er gerne ein Aber hinzufügen: "Aber wir haben gezeigt, was wir leisten können. Deshalb bin ich sicher, dass wir das Viertelfinale erreichen."

Oliver Bierhoff, der Manager im Dreierradl der deutschen Teamführung, ist sich der Stärke der Schweden ebenfalls sehr bewusst: "Das ist ein ganz schwerer Brocken, die Mannschaft steht unglaublich kompakt und hat auch starke Individualisten in ihren Reihen."Allerdings haben die Schweden nicht, was die Deutschen schon haben: einen echten Heimvorteil: "Die Zuschauer", schwärmt denn auch Kapitän Michael Ballack, "schweben auf einer Euphoriewelle und wir auch. Wir brauchen das Publikum und sind bereit, auch einen großen Gegner zu schlagen."

Selbst Arne Friedrich, zu dem keiner noch "Flankengott" oder "Abseits-Blitzgneißer" gesagt haben wird, erkennt darin die größte Stärke des deutschen Teams: "Es ist toll, diese Begeisterung zu sehen. Das ist eine Einheit zwischen Mannschaft und Fans entstanden, die uns weit tragen kann. Aber es besteht keine Gefahr, dass wir abheben."

Es sei denn, es gelänge ihm einmal überraschend eine schöne Hereingabe auf Klose, Podolski oder Ballack. Aber diese Gefahr besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht. (DER STANDARD, Printausgabe, Donnerstag, 22 Juni 2006, sid, wei)